Die sodomitischen und blutschänderischen Kinder des alten Zürich

Nach damaligem Ermessen durfte sich Heinrich Pfründer von Wädenswil als gnadenvoll behandelt vorkommen, war doch sein Fall vom Zürcher Gericht als schwerwiegend betrachtet worden. Immerhin hatte er 1657 vor diesem bekannt, vierzehnmal die „abscheuliche Tat der Bestialität“ begangen zu haben, was hiess, dass er es mit Tieren getrieben hatte. Dieselbe Gnade wurde Hans Jaggeli Isler von Wildberg zuteil, welcher 1696 einige junge Knaben zur Sodomie verleitet hatte. Der Grund für den Gnadenakt lag im jugendlichen Alter von 17 und 20 Jahren, und darin lässt sich schon etwas von dem Prinzip erkennen, das viele, die es heute wieder härter möchten, gern als Kuscheljustiz abtun, nämlich Milde für jugendliche Täter. Was den Hans Jaggeli aufgrund der Milde erwartete, war dann doch weniger kuschelmässig. Statt dass er bei lebendigem Leibe verbrannt wurde, geschah dies erst, nachdem er schon tot war. Die Tötung war vorher durch Erwürgen am Pfahl erfolgt. Das war die Gnade.

Die Enthauptung von Hans Fröschel durch Frantz Schmidt, 18. Mai 1591 (zeitgenössische Darstellung). © Staatsarchiv Nürnberg. (Das Bild zeigt vermutlich kein Kind. Eine mittelalterliche Darstellung von der Bestrafung eines Kindes zu finden, scheint schwierig.)

Die übliche Gnaden-Hinrichtungsart war sonst mit Schwert und (anschliessendem) Feuer. Tod durch das Schwert galt immerhin als ehrenhafte Strafart. Sie traf in einem einzigen Jahr einen 14- und einen 15jährigen wegen Sodomie, sowie zwei 19jährige, einen 16- und einen 13jährigen wegen demselben Delikt. Dasselbe Landgericht liess jedoch einen 11- und einen 16jährigen in Anbetracht ihrer Jugend am Leben. Sehr konsistent sieht das alles nicht aus, jedoch finden sich in den historischen Akten oft die Details nicht, die zu den Überlegungen der Gerichte führten. Dass es da oft um Sodomie ging, ist jedoch weder einer willkürlichen Auswahl meinerseits noch dem Zufall geschuldet.

Die Autorin, auf die ich hier abstelle, schreibt: „Es ist kaum zu glauben, wie viele Kinder und Jugendliche im alten Zürich wegen widernatürlicher Taten verurteilt wurden.“ Es war dies nebst dem Diebstahl das häufigste Verbrechen. Rund ein Fünftel aller jugendlichen Delinquenten wurde deswegen verurteilt.

Die Rolle des Alters

Unter sechs Jahren wurde in Zürich kein Kind bestraft, und auch oberhalb dieser Schwelle nicht unbedingt. So wurde beispielsweise 1496 ein siebenjährige Knabe, der gestanden hatte, mit einem Kalb und einer Gans Bestialität verübt zu haben, trotz dieses Geständnisses freigesprochen, da seine Aussage dem Gericht unglaubwürdig erschien, und 1560 wurde ein 19jähriger, der im Alter von neun Jahren Bestialität verübt hatte, nur mit Landesverweisung bestraft, obwohl er eigentlich eine härtere Strafe verdient hatte. Bei den Verbrechen der Jüngsten handelt es sich überwiegend um solche, die nach damaliger Anschauung zu den schwersten gehörten: Blutschande, Sodomie, Bestialität, Hexerei, Verleumdung, Diebstahl, Totschlag.

Auch an andern Orten lag die Grenze ungefähr bei sechs Jahren. In Obwalden wurde 1650 ein sechsjähriges Kind wegen Hexerei hingerichtet. Dagegen wurden in Fribourg 1667 bei einem Hexenprozess auch Kinder von ein bis fünf Jahren verfolgt, allerdings dann „begnadigt“.

Die zweite Altersstufe umfasste die Unmündigen (bis etwa 16 – gleichbedeutend mit dem Alter der Mannbarkeit, welches das Tragen eines Degens gestattete (Zeichen des erwachsenen, ehrbaren Bürgers). Unmündige gingen nicht straffrei aus, wurden aber weniger streng als Erwachsene beurteilt. „In Ansehung seiner Jugend und Torheit“ war eine häufige Formel bei Gnadenstrafen.

Bei den todeswürdigen Sexualdelikten erscheint oftmals die Pubertät als entscheidendes Kriterium für die Frage, ob der jugendliche Verbrecher hingerichtet werden solle. Denn es wurde grundsätzlich nur das vollendete Delikt mit dem Tode bestraft, und man sagte sich, dass bei einem unreifen Kind ein vollendetes Sexualdelikt nicht angenommen werden konnte. Diese Argumentation schimmert bereits in einem Urteil des Jahres 1496 durch, als ein siebenjähriger Bestiarius freigesprochen wurde, da angesichts seiner Jugend „sine wort und söliche tat nit glauplich sin mage“, und wieder 1553, als die Anklage gegen einen Zwölfjährigen, er habe mit neun Jahren Bestialität verübt, mit den Worten abgewiesen wurde, dass „…des Jünglings alter nach ein sollicher hanndel nit wol zuglouben“ wäre. In anderen Fällen wurde von unvollkommener Natur“ oder „unvollkommener Mannheit“ gesprochen. Andererseits hatten sich 1634 zwei zehnjährige Knaben vor dem Landvogt zu verantworten, der eine, weil er sich zweimal mit einem Kalb vergangen, der andere, weil er einmal mit dem Kalb seinen „schantlichen muttwillen“ getrieben hatte. Sie sollten beide mit Ruten blutig geschlagen, und der Anstifter sollte des Landes verwiesen werden.

Das blutig Schlagen mit Ruten war so etwas wie das Universalstrafmittel für Kinder. Auch darin lässt sich der Anfang eines Sonderstrafrechts für Kinder erkennen. Der Vollzug dieser Strafe geschah in der Regel nicht öffentlich, sondern im Gefängnis, oder auch in der Schule durch den Schulmeister, oder zu Hause durch die Eltern.

Für Taten, die als versehentlich begangen erkannt wurden, konnte die Strafe sehr milde ausfallen. Ein 13jähriger, der im Jahre 1686 anlässlich eines Fastnachtsumzuges aus Versehen ein Mädchen erschossen hatte, musste für diese durchaus moderne Tat eine Busse bezahlen und durfte — ausser um in die Schule oder in die Kirche zu gehen — das Haus nicht mehr verlassen. Sexualdelikte konnten hingegen kaum versehentlich sein. Hier interessierten andere Tatmerkmale.

Bosheit macht das Alter wett

Ein solches war die „Bosheit“. Sah das Gericht sie als gegeben, so konnte schon ab 10 Jahren die Todesstrafe verhängt werden. Natürlich wurde Bosheit vor allem bei Sodomiten „erkannt“. Sie stellten zusammen mit den Bestiariern 2/3 der mit dem Tod bestraften. Als Jüngsten traf es den zehnjährigen Rudeli Isler von Wildberg, welcher 1696 enthauptet wurde, freilich nicht ohne reifliche Überlegung und Anfrage bei der Zürcher Regierung. Die fand, dass man den Kleinen trotz seiner Minderjährigkeit nicht schonen dürfe, da er von seinem Bruder die sodomitischen Greuel mehrmals geduldet [!] und auch einmal selber verübt habe.

Noch unverständlicher ist das Urteil über Anndli Hutmacher von Seen, ein kleines Mädchen unbekannten Alters, welches 1540 ertränkt wurde, nachdem es eine Scheune angezündet und eine Frau fälschlicherweise der Tat bezichtigt hatte. Die Verurteilung erfolgte nicht etwa wegen Brandstiftung (die in der Urteilsformel nicht einmal erwähnt wurde), sondern wegen Verleumdung. Hinter dem Konzept der Bosheit steckten religiöse Überlegungen, und diese verlangten im Reformationszeitalter einen besonders strengen Massstab. Dass das Mädchen die Tat aus Rache für die schlechte Behandlung begangen hatte, die ihm von dieser Frau zuteil geworden war, fand gar keine Berücksichtigung. Im Urteil ist einfach von einer „bösen Handlung“ die Rede, und davon, dass das Mädchen, da es „schantlich und lästerlich angelogen“ hatte, wider göttliche und menschliche Gesetze verstossen habe.

Zur Feststellung der Pubertät berief man sich auf die Wissenschaft. 1706 wurde betreffend einen Zwölfjährigen ein Arzt angefragt, ob in diesem Alter die „pubertas“ schon so weit fortgeschritten sei, dass „actus completus“ (vollendete Handlung) angenommen werden könne, was der Arzt verneinte. Ein geistliches Gutachten vom Jahre 1676, betreffend „Blutschande“ eines anderen Zwölfjährigen mit seinem Schwesterchen, führt unter anderem aus: „Weil aber… auch bei einem Knaben, welcher unter 14 Jahren, und bey einem Mägdlein, welches unter 12 Jahren nach der Natur­kündigen Urtheil, sich gemeiner Natur Lauf nach, kein fruchtbahrer Saamen erzeigt, also hat zwüschen diesen beiden keine eigentliche Vermischung des Bluts, folgends auch keine wahre Blutschand fürgehen mögen.“

Wenn die Pubertät erreicht war, dann wurde hingegen an Sodomiten und Bestiariern ziemlich unausweichlich die Todesstrafe vollstreckt.

Junge Mädchen, die von einem erwachsenen Manne verführt worden waren, bestrafte man hingegen nachsichtig, auch wenn sie in die Tat eingewilligt hatten. So wurde 1621 über die elfjährige Ferena Lörli von Rorbas, die von einem verheirateten Manne verführt worden war, erkannt, dass die hinter ihr liegende Gefangenschaft auch ihre Busse sein solle. Sie wurde ihren Verwandten zugesprochen, die sie entweder selbst behalten oder an einem geeigneten Ort versorgen sollten, „..uff das es noch zu einem ehrlichen Mentschen werden und gerathen möge.“

Milde liess man auch in einem etwas speziellen Falle walten, über den 1661 in der Stadt Zug geurteilt wurde. Dort wurde ein zehnjähriger Knabe nach Italien verbannt, weil er zu Sodomie verführt worden war – von seinem Vater. Vielleicht stammte dieser aus Florenz, und wollte eine dort gepflegte Sitte im Lande der Eidgenossen weiterführen. Wir wissen es nicht.

Blutschande

Blutschande unter Geschwistern wurde bei Kindern, gleich wie die Un­zucht mit andern Kindern, mit Rutenstreichen geahndet. Strenger urteilte man auch hier, wenn die Geschwister oder eines davon schon in der Pubertät standen, wie ein Fall vom Jahre 1628 beweist. Caspar Oefeli, 16jährig, wurde wegen Blutschande mit seinem siebenjährigen Schwesterchen vom Kyburger Landgericht zum Schwert verurteilt. Sein Schwesterchen hingegen, welches ihn nicht verführt hatte, sollte „amm Leben verschonet, doch von dem Scharpfrichter… mit Ruotten dermassen gestrichen werden, bis imm das Bluott fürhin fliesse, und immer darby ernstlich zuosprechen und betröüwen.“

Von diesem Fall abgesehen wurden wegen Blutschande keine Jugendlichen hingerichtet. Die meisten Fälle betrafen Leute, die in einem entfernten Grade verwandt waren, und von denen nur der eine Teil jugendliches Alter aufwies. Ein geistliches Gutachten aus dem 16. oder eher 17. Jahrhundert befürwortete die Nichthinrichtung junger Mädchen, die von einem Manne zur Blutschande verführt worden waren.

1683 wurden vom Landgericht Kyburg mehrere Kinder wegen unzüchtigem Verhalten verurteilt, wobei die Strafe ganz individuell je nach Verschulden gefällt wurde: 1. Der Hauptschuldige, Heinrich Büechi, zwölfjährig, der sich in An­wesenheit anderer Kinder mit seinem achtjährigen Schwester­chen vergangen hatte, wurde im Zuchthaus verwahrt und gezüchtigt. Über die anderen Kinder verordnete der Landvogt folgendes: 2. Estherlin Büechi, das „Schwösterlin, ein Kind, so schandtlich verfüehrt worden, solle… damit es sich in mehreren Jahren hüete, von dem Schulmeister 3 tag nach ein anderen, mit der Ruoten gestrichen werden. 3. Hanseli Schuhmacher, noch nicht neunjährig, welcher nach langem laügnen bekhendt, dass er disem Estherlin, als es gelegen, ein Höltzlin darin gestekt, solle der Schulmeister 2mahl schwin­gen… Die übrigen 2 Kinder warend ihren Elteren zu züchtigen überlassen“

Notzucht und Unzucht

Der jüngste, der in Zürich wegen Notzucht verurteilt wurde, war 1636 der zwölfjährige Hans Conrat Wirtz. Er hatte ein achtjähriges Mädchen „genotzüchtigt“ und mit zwei Kälbern unchristliche Taten vollbracht. Aus „sonderbaren Gna­den“ wurde er enthauptet. Ausschlaggebend für dieses Urteil war wohl die Bestialität, da man Notzucht sonst nicht mit dem Tode bestrafte.

Die wegen dieses Verbrechens verurteilten Jugendlichen waren meist über 16 Jahre alt und wurden mit Geldstrafen und Ehrenstrafen gebüsst. In Freiburg i. Br. wurde 1687 ein 15-jähriger, der sich mehrmals an einem sechsjährigen Mädchen vergriffen, die Tat aber nicht vollendet hatte, zu 30 Rutenstreichen und 9 Jahren Verbannung verurteilt. In Bern wurde hingegen 1783 ein 19jähriger, der ein 7jähriges Kind missbraucht hatte, enthauptet. Auch Verbannung kam vor.

Dagegen wurde 1676 der 17jährige Hans Wäber von Meilen, der sich mit einem neun­jährigen Mädchen vergangen hatte, „aus sonderbahren Gnaden“ nach vierwöchiger Gefangenschaft entlassen.

Todesstrafe, Sodomie und reformatorischer Eifer

Die verhältnismässig zahlreichen Hinrichtungen Jugendlicher im alten Zürich bilden ein trauriges Kapitel. In der Zeit von 1500 bis 1750 wurden in Zürich Stadt und Land zusammen über 100 jugendliche Verbrecher mit dem Tode bestraft. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts finden sich jedoch keine Hinrichtungen Jugendlicher mehr. Der letzte wurde 1749 im Alter von 16½ Jahren wegen mehrfacher Bestialität und Unzucht zu Schwert und Feuer verurteilt. Andererseits ist auch aus der Zeit vor 1500 kein einziges Todesurteil eines Jugendlichen überliefert. Das früheste stammt aus dem Jahre 1509 (nicht wegen eines Sexualdelikts). Die Epoche dazwischen war offenbar durch besondere Strenge gezeichnet, und das war die Zeit der Reformation.

Die Hinrichtungen Jugendlicher verteilen sich sehr ungleichmässig auf die verschiedenen Delikte. Rund zwei Drittel aller mit dem Tode bestraften Jugendlichen waren Sodomiten und Bestiarier, etwa ein Fünftel waren Diebe, und nur wenige Hinrichtungen erfolgten wegen Brandstiftung, Tötungsdelikten, Blutschande oder anderem.

Hinrichtungsart

Weitaus die häufigste Hinrichtungsart war die Enthauptung. Von den über hundert hingerichteten Jugendlichen wurden alle bis auf sieben mit dem Schwert hingerichtet. Drei Fünftel davon wurden nachher verbrannt, zwei Fünftel beerdigt. Die meisten wegen widernatürlicher Unzucht Verurteilten wurden mit Schwert und Feuer bestraft. Es war dies die Gnadenstrafe, die anstelle des Lebendig­verbrennens trat, der ordentlichen Strafe für widernatürliche Unzucht. Der jüngste Delinquent, der auf diese Weise hingerichtet wurde, war der elfeinhalbjährige Bettelbub Jagli Keller von Ottikon, welcher sich mehrfach in Bestialität vergriffen hatte und 1679 gemäss dem Rat der Zürcher Regierung, welche beim Geistlichen ein Gutachten einholte, auf Kyburg hingerichtet wurde.

Die Strafe des Enthauptens und Verbrennens kam ausser bei widernatürlicher Unzucht nur noch in einem Fall von Brandstiftung vor.

Eine weitere qualifizierte Todesstrafe, die über Jugendliche verhängt wurde, war das Ertränken. Bezeichnenderweise waren es ausschliesslich Mädchen, die in Zürich auf diese Weise zu Tode gebracht wurden. Eines davon war das erwähnte Anndli Hutmacher, welches eine Scheune angezündet und eine Frau dieser Tat beschuldigt hatte, weil es sich für angetanes Unrecht rächen wollte. Das Urteil beschreibt die verordnete Grausamkeit wie folgt:

..nach grossen gnaden, wiewol es nach keyserlichen rechten wol schwe­rere straff verdienet hette, inn ansechung siner jugendt… die hend also gebunden über die knüw abstreiften, und ein knebel zwüschen den armen und schencklen durchhin stossen, und es also gebunden, über das schiff uss inn das wasser werfen, und inn dem wasser sterben und verderben lassen, und im ouch ein priester zuogeben, der im den weg zum himel zeige, es tröste…

Besserungsgedanke

Nur in Extremfällen wollte man dem Kind den „Weg zum Himmel zeigen“. Wenn ein fehlbares Kind, was oft geschah, etwa seinem Lehrer oder gar den Eltern zur Bestrafung überlassen wurde, dann sollte damit der Weg zu einem besseren Weiterleben gebahnt werden. Es sprach daraus ein durchaus moderner Gedanke: Die Strafe sollte nicht nur Busse für die Tat bedeuten, sondern auch Besserung bewirken, sie war auf „Rehabilitation“ ausgerichtet. Die Autorin schliesst ihre Arbeit mit dem Hinweis, dass dieser Gedanke gegen Ende des 16. Jahrhunderts bei der Bestrafung von Kindern allmählich stärker geworden sei.

Kommentar: Sodomiten, Blutschänder und Kindesmissbrauch

Der prägende Eindruck aus obigem Artikel rührt nicht allein von den überaus harten Strafen. Das war zu erwarten. Zu denken geben auch die hohen Zahlen von Bestraften, und zwar wegen Sexualdelikten bestraften. Die Autorin schreibt, dass in der Zeit von 1500 bis 1750  in Zürich Stadt und Land zusammen über 100 jugendliche Verbrecher mit dem Tode bestraft wurden. Zürich hatte rund 5000 Einwohner, nehmen wir an, dass der Kanton wie heute das Dreifache hatte, wären das 15’000, was einer Kleinstadt entspricht. In 250 Jahren wurden also in diesem überschaubaren Rahmen über 100 Jugendliche mit dem Tode bestraft, im Durchschnitt alle zweieinhalb Jahre einer. Ein Kind erlebte folglich bis zu seinem zwanzigsten Geburtstag rund 8 Hinrichtungen von Kindern oder Jugendlichen der näheren oder weiteren Umgebung, und das überwiegend wegen Sexualdelikten. Dazu kamen die grausamen Körperstrafen und langen Einkerkerungen.

Daraus kann man schliessen, dass Tod und Grausamkeit als Strafe für sexuelles Verhalten in jener Gesellschaft dauerpräsent waren, damit aber auch die Sexualität selber. Ein Kind, vor allem ein pubertierendes, lebte in der Frontenstellung zwischen aufkeimendem sexuellen Verlangen einerseits und dem Tod oder der Drohung gewalttätiger Strafen andererseits. Das ist das Eine.

Das Andere ist, dass diese immer vorhandene Drohung offenbar die sexuellen Aktivitäten der Kinder nicht wirklich zu unterdrücken vermochte.  Gerade auf dem Land mochte die Idee, erste sexuelle Erfahrungen mit Tieren zu sammeln,  über die Generationen hinweg weitergereicht worden sein. 

Drittens sollten wir ob der Grausamkeit der Drohungen nicht übersehen, dass ein grosser Teil der sexuellen Aktivitäten, um die es damals ging, vom Gesetze her auch heute noch strafbewehrt ist, nur dass die Strafe bei Kindern nicht mehr ausgeführt wird. Anstelle des Weges zum Himmel (oder in die Hölle) steht der Gang zum Psychotherapeuten an, und die Korrekturmethode ist unendlich viel sanfter geworden, der Strafgedanke wird möglichst vermieden, nicht einmal Schelte, geschweige denn ein Blossstellen des Kindes werden noch praktiziert. Aber:  was dabei das Kind macht, geht weiterhin unter „sexuellem Kindesmissbrauch“. Als problemlos und selbstverständlich kann es die Gesellschaft noch immer nicht hinnehmen. Das lässt sich auch daraus ablesen, dass auch seine Taten genau so die Kriminalstatistik füllen – dieselbe, wie die des Kindesmissbrauchs durch Erwachsene.

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und auch das:

Quelle: Meret Zürcher: Die Behandlung jugendlicher Delinquenten im alten Zürich (1400 -1798). Winterthur 1960, P. G. Keller (Dissertation). [Gekürzte und zusammengefasste Wiedergabe.]

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