Sexuelle Aktivität unter südafrikanischen Schuljungen


Ein Zufallsstichprobe von 1194 Schulen in 9 Provinzen führte zu Resultaten von 127’097 Schülern in 162 Klassen. Das Alter der Befragten erstreckte sich von 10 bis 19 Jahre.

Findings:

Unter den 10jährigen gaben 14% an, im letzten Jahr erzwungenen Sex gehabt zu haben.

Von den 11jährigen waren es 10%,
von den 12jährigen 9.8%,
von den 13jährigen 9.5%,
von den 14jährigen 10.4%,
von den 15jährigen 11%,
von den 16jährigen 11%,
von den 17jährigen 11.9%,
von den 18jährigen 12.8%,
von den 19jährigen 13%.

Bis zum Alter von 18 Jahren häufen sich diese erzwungenen Erfahrungen zu einem Anteil von rund zwei Fünftel (44%) an. Diese Zahl gibt eine Ahnung von der Belastung dieser Schüler durch übergriffige Sexualität im Laufe ihrer gesamten Kindheit. Jedoch macht die Studie keine Aussage darüber, wie oft die Schüler Adressat nicht-konsensualer Sexualität werden. (Zum Beispiel kann, wer als 11jähriger Opfer wurde, es als 13jähriger wieder werden.)

Leider machen die Autoren nur eine unklare Angabe dazu, wo sie allfälligen transaktionalen Sex einordneten (= Sex gegen kleine Geschenke, vor allem im sub-saharischen Afrika stark verbreitet), ob unter erzwungenem oder konsensualem Sex.*

Typ des Täters

28% gaben an, durch einen Erwachsenen (nicht aber durch Eltern oder Lehrer) zu Sex gezwungen worden zu sein. Weitere 28% sagten, dass sie durch einen anderen Schüler oder eine Schülerin gezwungen wurden, während dies bei 20% durch einen Lehrer und 18% durch ein Familienmitglied geschah. Ein Viertel war Opfer von mehreren Typen von Tätern geworden, bei 8% waren es sowohl Mitschüler wie Lehrer.

Geschlecht des Täters

32% derjenigen, die die Frage nach dem Geschlecht des Täters beantworteten, bezeichneten dieses als männlich, 41% als weiblich. Für 26% hatten erzwungene Erfahrungen sowohl mit dem einen wie mit dem anderen Geschlecht gemacht.

Missbrauch durch männliche Täter war in ländlichen Gegenden viel verbreiteter als in städtischen, während weibliche Täterschaft eher ein urbanes Phänomen war.

Es zeigten sich auch Zusammenhänge zwischen Geschlecht und Alter. Jüngere Schüler (10-14) gaben mit höherer Wahrscheinlichkeit männliche Täter an, als solche, die zum Zeitpunkt der Befragung älter als 14 waren.

Lehrer, die Schüler zu Sex auffordern

Einer von 20 Schuljungen (4.6%) berichtete, von einem Lehrer um Sex angegangen worden zu sein. Dies war signifikant häufiger in ländlichen als in städtischen Gebieten der Fall. Solche Anfragen kamen mit steigendem Alter häufiger vor.

Opfer, die zu Tätern werden

Rund 11% der männlichen Antwortenden sagten, dass sie schon jemand anderen zu Sex gezwungen hätten. Diese Angabe wurde häufiger in ländlichen als in städtischen Gebieten gemacht. Leicht häufiger erfolgte sie auch in Schulen mit bescheidener Ausstattung, doch erwies sich dieser Zusammenhang nicht als signifikant.

Alter beim ersten erzwungenen oder freiwilligen Sex

Rund 20% aller männlichen Antwortenden gaben an, in welchem Alter sie zum ersten Mal Sex hatten, erzwungen oder konsensual. Untenstehende Grafik gibt Aufschluss über die Verteilung (kumulative Werte, d.h. es werden auf jeder Altersstufe jeweils alle mitgezählt, die ihr erstes Mal schon früher hatten):

Die jüngsten Befragten waren 10, ihre Angaben zu dieser Frage konnten sich aber auch auf jüngere Jahre beziehen (vor 6 kumuliert). Zu beachten ist, dass dabei 19’271 Jungen nicht enthalten sind, weil sie bei dieser Frage nicht antworteten.

Diskussion

Der Grafik kann man entnehmen, dass auf jeder Altersstufe der Anteil jener, die konsensual Sex praktizierten, grösser ist als jener, die dazu gezwungen wurden. Hier wäre es jetzt besonders interessant zu wissen, ob und wie häufig Sex gegen Geschenke von den Schülern als konsensual eingestuft wurde.

Der Grafik lässt sich zum Beispiel entnehmen, dass im Alter von etwas unter 11 Jahren schon rund 20% mindestens einmal konsensualen Sex gehabt haben.

Da die Studie im Herbst 2002 durchgeführt wurde, können sich in der Zwischenzeit Veränderungen ergeben haben. Denkbar ist vor allem auch, dass die Aids-Prävention, gegen die sich Süd-Afrika lange Zeit gestemmt hatte, mittlerweile die sexuelle Aktivität unter Schuljungen gebremst hat. Die ermittelten Zahlen bleiben trotzdem ein anthropologisches Dokument von grossem Interesse.

Die kategoriale Trennung in konsensualen und nicht-konsensualen Sex mag sich vor allem in einer selbstadministrierten Befragung aufdrängen. Sie dürfte aber letztlich ein etwas künstliches Bild wiedergeben. Es lässt sich doch vorstellen, dass in manchen sexuellen Interaktionen ein mehr oder weniger gleitender Rollenwechsel zwischen dem aktiven und dem passiven Teilnehmer, mit unterschiedlichem Grad an Macht- und Zwangsausübung beim ersteren stattfindet. Auch eine Art gradueller Zustimmung zu koerzivem Sex lässt sich denken. Wenn zum Beispiel unter Kindern gewisse Spielregeln gelten, so könnte es sein, dass ein Kind durch Teilnahme an einem bestimmten Spiel den Spielregeln implizit zugestimmt hat, den daraus möglicherweise folgenden Sex aber nicht eigentlich gewünscht hat.

Die Studie spricht durchwegs von Schoolboys. Sie bestreicht aber eine Altersspanne bis zum abgeschlossenen 18. Altersjahr, reicht also weit über den biologischen und auch über den sozialen Kontext der Kindheit hinaus. Wären nur Schüler bis zum Beispiel dem 12. Altersjahr befragt worden, so ergäbe sich ein höherer Anteil homosexueller Aktivität, da das weibliche Geschlecht mit zunehmendem Alter in der Täterrolle erscheint.

Stichprobe und Methode

Zufalls-Stichprobe von Wahlkreisen, proporzional zur Bevölkerungszahl. Auswahl von total 1194 Schulen in 9 Provinzen. Durchgeführt 2002 in 5162 Klassen durch vom Schüler ausgefüllte Fragebögen.

In jeder Klasse wurde erklärt, dass das Ausfüllen des Fragebogens freiwillig ist und jederzeit beendet werden kann, und dass die Schüler nicht identifiziert werden können. Es wurden Massnahmen getroffen um zu verhindern, dass nahe beieinander sitzende Schüler den Fragebogen eines Kollegen einsehen konnten.

Weil es in mehreren südafrikanischen Sprachen kein Wort für Vergewaltigung gibt, wurde der Ausdruck „erzwungener Sex ohne Zustimmung“ gebraucht.

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*) „We did not distinguish transactional sex, although it is not strictly forced sex without consent.“

Quelle

13,915 reasons for equity in sexual offences legislation: A national school-based survey in South Africa.
Neil Andersson und Ari Ho-Foster.
International Journal for Equity in Health 2008, 7:20 doi:10.1186/1475-9276-7-20
http://www.equityhealthj.com/content/7/1/20#B8

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.equityhealthj.com/content/7/1/20

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