Sind geschminkte Kinder sexualisiert, oder sind es ungeschminkte Erwachsene?
Die Modefirma Prada wurde von einem britischen Aufsichtsgremium wegen einer Reklame für ihre Marke miu miu gerügt, die das voll mit Textil bedeckte 22jährige Modell Mia Goth in angeblich lasziver Haltung zeigt. Das kritisierte Bild erschien in der britischen Ausgabe des international renommierten Modemagazins Vogue.
Ein Leser hatte sich beklagt, dass die Werbung unverantwortlich sei, weil sie ein als Erwachsene gekleidetes Kind in einer sexuell verführerischen Pose zeige.

Die Aufsichtsstelle Advertising Standards Authority teilte diese Ansicht. Sie rügte, dass das jünger als 16 wirkende Model in provozierender Haltung auf dem Bett liege und direkt in die Kamera schaue, die durch einen Türspalt hineinguckt. Auch das minimale (!) Make up und die etwas zu gross wirkenden Kleider ergäben den Eindruck, dass hier ein Kind in sexuell einladender Pose gezeigt würde.
Vogue UK entgegnete, dass seine Leserschaft gebildet genug sei, um Top Fotografie wie auch grosse Mode zu schätzen. Vogue glaube nicht, dass seine Leser denken würden, die Werbung würde mit dem Modell ein Kind suggerieren.
Aber die britische Aufsichtsstelle entschied, dass die Werbung nicht mehr erscheinen darf.
Meiner Ansicht nach illustriert dieser Vorgang genau das, was Amy Adler, eine amerikanische Professorin für das Recht der Kunst und der Frau, schon vor Jahren in einer intelligenten Abhandlung nachgezeichnet hat: die Definition von Kinderpornografie wird immer extensiver, das heisst, es fallen immer mehr Aufnahmen unter den Bann – Aufnahmen, die immer weniger mit Kindern zu tun haben, immer weniger Nacktheit zeigen und weniger Suggestivität enthalten – und folglich immer mehr Fantasie beim Betrachter voraussetzen, um verdächtig zu werden.
Die Öffentlichkeit wird durch diese zunehmende Strenge anscheinend nicht etwa beruhigt, sondern reagiert im Gegenteil immer argwöhnischer, und kritisiert die Politik nur immer noch heftiger. Wären die Behörden vor 20 Jahren wegen eines solchen Urteils wie dem gegen Prada noch als weit übers Ziel schiessend lächerlich gemacht worden, so stellte sich da selbst Der Spiegel voll hinter das Verdikt dieser englischen Stelle und sprach von „irritierenden Lolita-Fotos“. https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/mia-goth-in-miu-miu-werbung-verbot-von-kampagne-a-1033258.html
Als zusätzliches Reizmerkmal erfasst nun der geschärfte Blick der Kinderschützer auch das Detail der schwarzen Maschen auf den roten Schuhen. Natürlich, so gehen die Kinder ja in die Schule. Man könnte ja auch noch die gelbe Handtasche als Attribut der Kindlichkeit entlarven. Vielleicht erinnert sie an den Schulranzen?
Auch dieses sich doch gerne liberal gebende Sprachrohr eines mehr oder weniger intellektuellen deutschen Publikums kann oder darf offenbar nicht mehr erkennen, welche Ironie, um nicht zu sagen: Perversität in der Kritik an diesem Bild liegt.
Es wird in das Bild hinein interpretiert, dass die fehlende Schminke der jungen Frau ein kindliches Aussehen gebe. Offenbar erinnert sich niemand mehr, dass das Schminken einstmals als Privileg der Prostituierten galt. Nur allmählich konnten sich andere Frauen dieses begehrte Zeichen autonomer Weiblichkeit erobern. Jetzt müssen offenbar erwachsene Frauen sich damit als Erwachsene ausweisen, um nicht in den Verdacht zu geraten, kindliche Reize auszuspielen. Die seltsame Logik der Kinderpornografie-Bekämpfung stellt jetzt diese Regel auf. Es wird fortan als verrucht gelten, sich nicht zu schminken. Dabei zeigen gerade die wirklich kindlichen Models, die für Kindermode werben, dass dort ohne Lippenstift nichts mehr geht.
Dort als Kind sexualisiert, weil geschminkt, hier kindlich sexualisiert, weil ungeschminkt. HAT EIGENTLICH NOCH JEMAND DIE ORIENTIERUNG?
Ebenso verquer mutet die Kritik an, dass die leichte Überweite der Kleidung einen kindlichen Körper suggerieren solle. Auch da sind die Kämpfe offenbar vergessen. „Seine Kurven zu zeigen“ galt lange als ordinär. Und vor allem: in der miu miu Reklame ist kein Zentimeter Brust zu sehen, ja auch sonst keine Haut, ausser vom Gesicht. Was ist jetzt: müssen Dreizehnjährige sich so anziehen, dass sich die knospende Brust abzeichnet? Weil nachsichtige Überweite ihren Körper sexualisieren würde?

Hat eigentlich noch jemand die Orientierung in der Kleiderfrage bei den Frauen? Bekommt alles seine Ausrichtung von der allerobersten Maxime, dass es auf keinen Fall nach Kindlichkeit aussehen dürfe? Was ist denn eigentlich mit den weissen Strümpfen, die zum bayrischen Dirndl gehören? Suggerieren die nicht kindliche Unschuld? Und was ist mit den Müttern, die sich stolz in gleicher Kleidung wie ihre 13jährige Tochter neben dieser fotografieren lassen? Wer sexualisiert hier wen?
Amy Adler bekommt immer dramatischer recht: Wir alle haben inzwischen den pädophilen Blick eingeübt. Die Pädophilie-Debatte lässt ihn täglich noch schärfer werden – oder halluzinatorischer. Einst musterten wir Fotos von nackten Kindern darauf, ob sie dem Pädophilen gefallen könnten. Dann wurden allmählich Kinder in Bikinis suspekt. Jetzt sind wir bei voll bedeckten Frauen angelangt, die deswegen, weil sie nicht geschminkt und von viel Stoff bedeckt sind, Kinder – nein, natürlich sexualisierte Kinder – mimen könnten. Genau das ist das absurde Resultat dieses hysterischen Kampfes: zunächst fürchteten wir in nackten Kindern sexualisierte Kinder zu sehen, jetzt sehen wir in jungen Frauen sexualisierte Kinder. Offenbar sehen wir allmählich überall sexualisierte Kinder. So wie der mittelalterliche Klerus immer mehr den Teufel sah. Schliesslich bekannten damals gut beleumdete Frauen, mit diesem geschlafen zu haben. Je gründlicher man ihn verbannen wollte, umso omnipräsenter wurde er.
Und das moderne, das gebildete, das aufgeklärte, das „wissende“ Publikum, welches sonst gerne mit der Hexenverfolgung als Menetekel einer verirrten Moral argumentiert, dreht sich mit in der Spirale.
Oben noch eine andere Variante aus demselben Hexenkessel. Das Bild stammt aus einer Plakataktion des Wiener Kaufhauses „Steffl“. Feministinnen wollten darin „pädophil-sexistische Sexualisierung“ erkannt haben. Nicht zuletzt weil das Kind stark geschminkt war… Auf Druck der per Mailing-Liste zusammengetrommelten Kampffront nahm das Kaufhaus die Werbung zurück. Die Werbefirma, die das Bild im Auftrag des Kaufhauses produziert hatte, entgegnete:
Das Bild zeigt ein Mädchen im Alter von ca. 10 bis 12 Jahren. Das Mädchen ist vollständig bekleidet, (Sack-Kleid und langärmelige Bluse) und trägt eine Masche im Haar.
Das „Make up“ des Mädchens ist ein durchaus „gängiges Sujet“. Die Geschichte, dass Kinder bei Mode und Kosmetik gerne die „habits“ ihrer Eltern nachahmen, wurde in vielen Werbekampagnen so erzählt.
Weder die Pose noch der Gesichtsausdruck des abgebildeten Mädchens, erscheint uns in irgend einer Weise „lasziv“ zu sein und ist unserer Auffassung nach, eher als „cool“, bzw. als „etwas gelangweilt“ zu interpretieren.
Der Österreichische Werberat sah darauf hin keinen Grund mehr, einzuschreiten.
Früher einmal wären solche Bilder von kulturpessimistischen Pädagogen gerade deswegen kritisiert worden, weil sie ein gelangweiltes Mädchen (herablassend über die Schulter blickend) zeigten. Kinder hatten einmal „frisch“, „optimistisch“, „zupackend“ in die Welt zu blicken. Der Kritik ausgesetzt waren Bilder von ihnen immer.
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