Meine unangemessene Beziehung: Ich war 12 und er war mein 20 Jahre alter ‚Camp Betreuer‘.

„Ich wurde missbraucht. Und ich liebte es.“

Jillian Lauren*

»Über die Jahre hinweg nannte ich es eine „unangemessene Beziehung.“ Ich nannte es „einen Vorfall mit einem älteren Mann.“ Meistens nannte ich es „das Ding, das in jenem Sommer passierte.“…«

»Ich nannte es nie sexuellen Missbrauch, weil sich das wie eine Überdramatisierung angefühlt hätte. Das Wort „Missbrauch“ scheint Viktimisierung zu implizieren, und ich fühlte mich, bezogen auf diesen Vorfall, immer unwohl damit. Bis jetzt war ich viel zu sehr politisiert, um den Hauptgrund zuzugeben, warum ich es nie sexuellen Missbrauch nannte, obwohl es sowohl in einer kriminellen wie in einer klinischen Perspektive als solches betrachtet würde. Der wirkliche Grund war, dass ich glaubte, dass ich danach verlangt hatte.«

»Ich wollte es, das ist sicher. Aber
was genau wollte ich?«

»Im Sommer, als ich 12 wurde, ging ich in ein Sommerlager. Ich rasierte zum ersten Mal meine Beine, brachte Sun In [ein Aufheller; montebas] in mein Haar, und bräunte mich mit Baby Öl. Ich hatte meinen ersten Boy Friend – einen mageren, vorlauten Jungen mit Sommersprossen, der ein Jahr älter war als ich, und der mich zu Paddelboot-Ausflügen mitnahm und dann mit mir brach, wobei er mich prüde nannte und, ich war mir sicher, mein romantisches Leben für immer ruinierte.«

Jillian Lauren

»Ich wandte mich vom realen Leben ab zur Fantasie hin, und mied die Jungen meines eigenen Alters, die zufällig daher kamen. Statt dessen verknallte ich mich in Nathan, den 20 Jahre alten Schwimmlehrer. Nathan war sarkastisch, schwerfällig und ungewöhnlich stylish für ein Camp voll verwöhnter jüdischer Kids von der Ostküste. Sein schwarz gefärbtes Haar hing über dem einen Auge, und er trug seine Hosen tief auf der Hüfte. Alle übertrumpfend kam er aus New York, dem Mekka aller wilden und wunderbaren Dinge. Ich verbrachte zahllose Stunden damit, mir vorzustellen, wie ich in Zukunft mit Nathan durch den Washington Square Park spazierte, bevorzugt an Herbsttagen zwischen College Unterrichtsstunden.«

»Ich fand sein Bett und stand über ihm,
zitternd vor Adrenalin.«

»Nathan passte nicht wirklich rein [in’s Camp, m.], und es gab allerlei Gerüchte über ihn. Er sei bisexuell; er sei der Freund von Morissey; er sei ein Model für United Colors of Benetton. Auch ich fühlte mich als Außenseiter, nie fähig, denselben enthusiastischen Campgeist zu entwickeln wie die anderen Mädchen. Ich bildete mir ein, Nathan würde mich irgendwie auf tief gehende Art verstehen, nur wüsste er es noch nicht.«

»Eines morgens im kühlen See schwamm Nathan von hinten an mich heran, um meine Schwimmzüge zu korrigieren, und eine elektrische Entladung geschah zwischen uns, die anders war als alles, was ich je zuvor gefühlt hatte. Meine ganze Brust schien sich rundherum einzuengen. Ich wurde von der herrlichen Gewissheit überflutet, dass ich nicht allein war mit meinem Wunsch. Ich plusterte mich auf und platzierte mich jeden Moment berechnend in seiner Sichtlinie. Ich machte mir Asthmaanfälle und Magenschmerzen mit all diesem verkrampften Streben.«

»Dies ging während Wochen so weiter, bevor ich endlich den Mut fand, ihn allein aufzusuchen. Ich wollte es, das ist sicher. Aber was genau wollte ich? Ich wollte ihn küssen, ich dachte konstant darüber nach. Aber letztlich bat ich darum, geliebt zu werden, ohne die möglichen Manifestationen zu erfassen, die die Liebe annehmen könnte.«

»Du bist 12 Jahre alt, du weißt nicht,
was Liebe ist.«

»Die Nacht, als ich hinaus schlich, um ihn zu sehen, schlief ich sorgfältig auf meinem Haar, legte meinen Wecker unter mein Kissen und stellte meinen weißen Ked [Helm] griffbereit an meine Bettseite. Es war ein langer Marsch quer durch das Camp, und die Dunkelheit außerhalb des Lichtkegels meiner Stablampe schien lebendig und bedrohlich. Ich war von kaltem Schweiß bedeckt, als ich ankam. Nathans Schlafkoje roch nach Fuß und Schimmel und war vom Abfall der achtjährigen Jungen übersät, deren Schwimmlehrer er war. Ich trat leise auf, bewusst, dass etwas anderes auf dem Spiel stand als bei meinen früheren Übertretungen.«

»Ich fand sein Bett und stand über ihm, zitternd vor Adrenalin. Was, wenn er mich fortschickte? Was, wenn er es nicht tat? Ich streckte die Hand aus und berührte seine nackte Schulter. Als er seine Augen öffnete, schien er überhaupt nicht überrascht. Ein heller Mond hing im Fensterrahmen hinter ihm, und er war nur eine Silhouette, als er mein Gesicht in seine Hände nahm und sich vorbeugte, um mich zu küssen. Ich schloss meine Augen und versuchte, das meinem Gedächtnis einzuprägen, mir bewusst, dass es mein erster wirklicher Kuss war, und dass ich mich eines Tages an ihn würde erinnern wollen. Als sein Atem zu flattern begann, flüsterte er in mein Ohr: „weißt du eigentlich, wie ich mich fühle, wenn ich sehen muss, wie du den ganzen Tag in deinen Shorts herum rennst. Du bist so hübsch, und ich kann nicht einmal jemandem davon erzählen. Hast du eine Ahnung, was du mit mir anstellst?“«

»Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Natürlich wusste ich es nicht. Wie hätte ich es wissen können?«

»Ich verlangte danach mit all dem Drängen und
dem Chaos einer aufkeimenden Sexualität.«

»Während der nächsten Wochen ging ich ihn jede Nacht sehen, bis ich erschöpft und verwirrt war. Ich wollte, dass es aufhörte, und ich wollte, dass es nie aufhören würde. Irgendwann wurden wir erwischt, und er wurde gefeuert. Ich fand mich zusammengekrümmt in einem Stuhl gegenüber dem Schreibtisch des Direktors wieder, bombardiert mit den unmöglichsten Fragen wie: „Was hast du gedacht?“«

»Ich antwortete: „Ich liebe ihn.“«

»Der Direktor erwiderte: „Du bist 12 Jahre alt, du weißt nicht, was Liebe ist.“«

»Was natürlich Unsinn ist. Ich bin jetzt eine erwachsene Frau, und ich kann ohne Vorbehalt sagen, dass ich es tat. Ich liebte ihn aufrichtig und mit all dem Wagemut der Jugend, was heißt: mit absolut keinem Sinn für die Konsequenzen.«

»Ich erinnere mich ohne Zorn daran. Ich erinnere mich immer noch an die anfängliche Köstlichkeit, zu bekommen, was ich gewollt hatte, erstmals zu fühlen, wirklich gewünscht zu werden, und das auf eine solch grenzüberschreitende und erotisch aufgeladene Art. Und doch, wenn ich es mir genauer anschaue, bin ich nicht sicher, dass ich „es“ wirklich wollte. Ich habe nur danach verlangt, dass meine Sehnsucht beantwortet wird, dass mein Leiden erleichtert werde. Ich verlangte danach mit all dem Drängen und dem Chaos einer aufkeimenden Sexualität.«

»Auf der Webseite des Department of Health and Human Services ist eine der definierenden Eigenschaften für die klinische Definition von sexuellem Missbrauch ein „Wissensgefälle“ [knowledge differential]. Sie stellt fest: „Ein Akt wird als missbräulich betrachtet, wenn eine Partie (der Täter) ein weiter entwickeltes Verständnis der Bedeutung und Implikation einer sexuellen Begegnung hat.“ Das trifft zweifellos für meine „unangemessene Beziehung“ zu, für meinen „Vorfall mit einem älteren Typen.“«

»Ich wurde missbraucht. Und ich liebte es,
einige Zeit.«

»Ob ich mich im Einklang mit mir selber finde, wenn ich mich als Opfer identifiziere oder nicht, ich anerkenne die tiefe und anhaltende Wirkung, die meine Beziehung mit Nathan auf mein Leben hatte. Bei meinem ersten Kuss ging es nicht um das Vergnügen, sondern um die Macht, und die beiden Dinge wurden für lange Zeit ununterscheidbar. Ich lernte für lange Zeit, Sex gegen Zuneigung zu handeln. Und während es zu einengend wäre, zu behaupten, dass mich dies einige Jahre als Sex Worker verbringen ließ, glaube ich doch, dass es eine Zutat in der Mischung war.«

»Ferner, als alles ans Licht kam, erfuhr ich, dass meine Eltern und andere in Autoritätsposition darin übereinstimmten, dass der Vorfall zumindest teilweise meine Schuld gewesen war. Ich lernte, welche Art von Kind ich war: Ich war ein Grenzschieber [boundary-pusher; jemand der die Grenzen immer weiter hinaus schiebt, m.]; ein Regelbrecher; ein Mädchen, welches immer in Troubles war. Das war es, was mit Mädchen wie mir passierte. Als der Vorfall im Camp es irgendwie in die Gerüchtemühle meiner Schule schaffte, wechselte ich unvermittelt von einem Mädchen, welches noch nie geküsst worden war, in eine notorische Schlampe.«

J.L.verbrachte einige Zeit in einem Harem. Das erzählt sie in einem Buch.**

»Ich frage mich, was ich gelernt hätte, wenn ich nicht bekommen hätte, wonach ich verlangte. Hätte ich gelernt, dass es anderes an mir gab, was wertvoll und überzeugend war? Hätte ich gelernt, dass einige Männer vertrauenswürdig sind? Hätte ich mehr Optionen gehabt als jene, die für „diese Art von Mädchen“ erhältlich sind?«

»Kürzlich verbrachte ich mit einer Freundin und ihrer 12 Jahre alten Tochter einen Nachmittag am Strand. Ich bemerkte die scharfen Linien des Körpers der Tochter (perfekt, im Sinne der Standards unserer Medien), so wie meine eigenen in diesem Alter. Sie war blendend und kostbar, und sich noch nicht des Aufruhrs bewusst, den sie in den männlichen Zaungästen hervorrief. Ich realisierte, dass ich es ohne Einschränkung als Missbrauch bezeichnet hätte, wenn ein acht Jahre Älterer sie berührt hätte, egal wonach dieses Mädchen verlangte. In diesem Fall hätte es keinen Widerspruch zwischen meiner Politik und meinen Emotionen gegeben.«

»Das ist es, was ich es nennen will. Gefühle um Missbrauchsdynamiken herum sind oft komplex und zwiespältig, aber das mindert die Wirkung auf das Leben der Opfer nicht. Ich wurde missbraucht. Und ich liebte es, einige Zeit. Ich liebte ihn, bestimmt. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich für den Rest meines Lebens damit lebte, und dass ich das Ausmaß der Nachwirkungen nicht vorhersehen konnte. Das versteht sich als die Aufgabe der Erwachsenen in der Gleichung.« [übersetzt von montebas. Bitte in Kopien angeben.]

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Jillian Lauren ging später ein Engagement als Stripperin ein. Schließlich trat sie dem Harem des Prinzen von Brunei bei.** Vermutlich spielt sie auf diese biografischen Abschnitte an, wenn sie ihre erste Liebes- und Sexerfahrung als Teil einer Mischung bewertet, die sie in prekäre Sexualabenteuer hinein gleiten liess.

Oben fragt sie, was sie gelernt hätte, wenn sie nicht bekommen hätte, wonach sie verlangte. „Hätte ich gelernt, dass es anderes an mir gab, was wertvoll und überzeugend war?“ Es lässt sich antworten: „Ja, vielleicht.“ Aber auch, dass sie, wenn von diesem Nathan abgelehnt, „gelernt“ hätte, dass es an ihr gar nichts gab, was wertvoll war.

Ich habe diesen Text nicht deswegen gewählt, weil ich beweisen wollte, dass Mädchen mit 12 problemlos ein sexuelles Verhältnis mit einem 20jährigen eingehen könnten. Sondern nur zur Widerlegung der heute verbreiteten Behauptung, dass eine 12jährige das niemals aus freien Beweggründen, und schon gar nicht aus sexuellem Verlangen, tun würde.

An deutschen Gerichten wird das bisweilen akzeptiert, wenn es vom Mädchen glaubhaft bezeugt wird. Das Strafmass wird dann stark gesenkt, straflos kommt der Angeklagte allerdings nie davon. Das ist der Tribut an „die Aufgabe der Erwachsenen in der Gleichung,“ wie J. Lauren es nennt..
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*) Jillian Lauren: My Inappropriate Relationship. In: salon.com. 24. März 2013

**) Jillian Lauren: Some Girls: My Life in a Harem. https://en.wikipedia.org/wiki/Some_Girls:_My_Life_in_a_Harem

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