»Es war nicht nur schlecht.« Bekenntnisse einer Inzest-Überlebenden.

»Wenn die Leute erfahren, dass ich als Kind missbraucht wurde, sagen sie oft „Das erklärt es“.«

Die Promiskuität, die losen sexuellen Grenzen, die taktlose Art meiner sexuellen Fehltritte… sie alle ergeben Sinn, wenn man die Tatsache sieht, dass meine sexuelle Initiation ganz schön versaut war. Ich hatte einmal einen Boyfriend, der mit ziemlicher Verlegenheit sagte: wenn er von einem Mädchen erfahre, dass es als Kind missbraucht wurde, dann sei [bei ihm; monteb.] ein schuldiges Gefühl von Erregung da. So etwas wie: „Oh yeah! Sie ist ein Freak!“ Er hasste es, dass meine Unschuld von mir genommen worden war, erkannte aber, dass er davon profitierte.

Inzest ist eines dieser Gebiete, wo jeder eine Meinung hat. Die meisten Leute hassen Pädophile; die meisten Leute haben Mitleid mit Kindern, die missbraucht wurden; die meisten Leute finden den Gedanken an Verwandte, die [miteinander; m.] Sex haben, Horror. Hell, ich habe nicht einmal gern die Worte „Verwandte, die Sex haben“ getippt. Ich bin mir nicht sicher, ob das mein Widerstand gegen das Gleichsetzen von Inzest (einem Akt, den die meisten Leute als völlig krank und verdreht ansehen) mit Sex (etwas weniger emotional Aufgeladenem) war, oder einfach eine Reaktion auf das soziale Tabu.

Die Wahrheit ist, dass das Trauma, welches durch die Erfahrung von Sex mit einem Verwandten in einem frühen Alter verursacht wird, noch verworrener und erschreckender ist, als die meisten Leute vermuten, so dass sie vermutlich in entsetzter Faszination auf das blutige emotionale Wrack starren würden, um dann selbstgerecht das Opfer zu beschuldigen, weil sie keine Ahnung haben, wie sie etwas verarbeiten sollen, das gegen alle Vernunft geht. Erlaubt mir, das zu erläutern:

Ich genoss es als Kind, missbraucht zu werden. Ich mochte es. Ich habe es gesucht. Ich wurde eifersüchtig, wenn mein Missbraucher jemand anderem seine Aufmerksamkeit schenkte. Ich war fasziniert davon, erwachsene Dinge tun zu können und Dinge zu kennen, die nur Erwachsene kennen. Ich liebte es, begehrt zu werden, und ich fand Macht in meiner Sexualität. Ich lernte früh, sexy zu sein, und es brachte mir Aufmerksamkeit und Gunstbezeugung, welche die meisten Frauen erst richtig schätzen, wenn ihre Brüste zu hängen beginnen und ihre Taille dicker wird.

Ich anerkenne zwar, dass meine Reaktion auf Kindesmissbrauch nicht die einzig mögliche Reaktion ist – andere mögen sich so verhalten, wie die Leute es von ihnen erwarten… Sex hassen, Angst haben vor ihrer Sexualität, opferartig – doch meine Reaktion ist keine ungewöhnliche. Die wahre Scham, wenn Du als Kind missbraucht wirst, besteht darin, dass Du dich darob nicht so fühlst, wie Du dich fühlen solltest. Die Leute wollen dich bemitleiden, und wenn Du ihnen nichts zum Bemitleiden gibst, dann sagen sie, dass Du eben so krank bist wie dein Missbraucher.

Der Grund, warum die Pädophilen so lange mit ihrem Missbrauch davonkommen ist, dass sie ihre Opfer gut auslesen. Es ist, wie wenn sie einen Peilsender hätten, der aufleuchtet, wenn sie nahe bei einem Kind sind, welches einsam und vernachlässigt ist und verzweifelt nach Liebe sucht. Es funktioniert, weil sie dem Kind wirklich das geben, wonach es begehrt: Zuwendung, Unterstützung, Anerkennung, Respekt und all die anderen Dinge, welche wir mit Liebe verbin-den. Es funktioniert auch deswegen, weil Sex sich gut anfühlt. Er fühlt sich von innen heraus gut an. Es ist nicht so, dass er sich ganz einfach nicht gut anfühlen würde, nur weil Du nicht alt genug bist, um ihn als gut zu empfinden. Es jagt die meisten Leute, an ein vorpubertäres Kind zu denken, welches sexuelles Vergnügen empfindet, aber sie [die Kinder; m.] können das und tun es auch die ganze Zeit… das heisst, bis sie mit ihrer Hand in der Unterhose erwischt werden und deswegen in trouble geraten.

Dies vorausgeschickt – wünsche ich, ich wäre nicht missbraucht worden? Ich habe mein ganzes Leben lang versucht, normal zu sein. Ich hatte keine Ahnung, wie es ist, platonische Freunde zu haben, weil ich früher oder später damit endete, sie alle zu ficken. Meine Identität war so sehr mit meiner Sexualität verflochten, dass – wenn man diesen Teil von mir weggenommen hätte – ganz schön wenig übrig geblieben wäre. Ich lebte so lange mit der Scham, nicht so zu fühlen, wie die Leute von mir erwarteten, dass ich lernte, die tiefsten Teile von mir sogar vor mir selber zu verbergen. Ich war konditioniert zu glauben, dass die Wahrheit mich verdammen würde, und dass Lügen die Dinge schützten, die ich schätzte. Ich lernte gut zu lügen.

Falls Du bemerkt haben solltest, dass ich die Frage nicht wirklich beantwortet habe, so bist Du scharfsinnig. Ich bedaure keine meiner Erfahrungen [Alternativ: Ich missgönne mir keine meiner Erfahrungen. I don’t begrudge any of my experiences]. Sie haben mich zu dem gemacht, was ich bin, und an manchen Tagen mag ich diese Person wirklich. Missbraucht zu werden hat es mir erlaubt, Bereiche der Sexualität sowie von Recht und Unrecht zu erforschen, und das in einer Weise, die schwierig gewesen wäre, wenn ich es nicht persönlich erfahren hätte.

Natürlich würde ich den Penis eines Pädophilen auf der Stelle abschneiden und ihn mit unheiliger Schadenfreude in kleine Stücke zerhacken. Ich mein‘ ja nur. [Übersetzung durch montebas, In Kopien bitte angeben.]

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Das Elephant Journal ist ein seriöses Internet-Magazin, welches sich hauptsächlich mit den Themen Wellness, Familie, Ernährung, Spiritualität, Liebe und Yoga befasst und Wert auf Leser-Mitarbeit legt. Sister Shamu gab auf mehrere Kommentare zu ihrem Beitrag Repliken, die sicher davon zeugen, dass sie mit ihren launigen Worten durchaus etwas Ernsthaftes mitteilen wollte. Einige folgen unten. Es lohnt sich, auf die Seite von Elephant Journal zu gehen und sich dort ein Bild von den Kommentaren zu machen! Manche sind wirklich erstaunlich, und lassen erahnen, dass Sister Shamu einen brach liegenden Punkt getroffen hat. Es scheint viele zu geben da draussen, deren Problem ähnlich liegt, und damit eben nicht so, wie es die gängige, die durchgesetzte, die einzig akzeptierte Meinung haben will. Sister Shamu hat übrigens auch zu anderen Theman Beiträge im Elephant Journal beigesteuert.

Kommentare:

Hope B., October 31, 2011

Die Information, die mitzuteilen du tapfer genug warst, hat mich besser gemacht in meinem Job als Child Targeted Case Manager. Dank dem, was du uns mitgeteilt hast, konnte ich andern Leuten in meinem Feld helfen, diese Reaktion auf Missbrauch besser zu verstehen. Es hat mich sensitiver gemacht gegenüber den Bedürfnissen der Kinder, mit denen ich arbeite. Ich kann jetzt vermeiden, unabsichtlich Scham in das Herz eines Kindes zu legen.

Sister Shamu November 1, 2011

Danke dir. Als Kind, und sogar als Erwachsener, waren oft die Leute, die mir hätten „helfen“ sollen, meine weniger als perfekte Kindheit zu verarbeiten und mit ihr umzugehen, diejenigen, die mich am wenigsten verstanden

Fiona Robyn, November 1, 2011

Als Psychotherapeutin wurde ich oft Zeugin der Erleichterung, die damit kam, dass es ‚OK‘ sei für die betroffene Person (gewöhnlich ein Kind), in der abusiven Situation sexuell erregt zu sein – dass dies nicht bedeute, dass es der betroffenen Person ihr Fehler sei, und dass es sicher nicht ‚OK‘ werden liess, was der Missbraucher machte. Danke dir für deine tapfere Mitteilung.

Sister Shamu November 1, 2011

Danke dir. Bestätigung ist etwas vom wichtigsten, das es im Heilungsprozess gibt. Vor 5 Jahren hörte ich ein religiöses Radioprogramm, in dem eine Frau, die vergewaltigt worden war, anrief und versuchte, zu verarbeiten, was geschehen war. Der „Experte“ fragte sie, ob sie ihre Vergewaltiger angreife und um Hilfe rufe. Wenn nicht, war sie gemäss der zitierten Schriften schuldig der Sünde und musste bereuen für ihre Rolle bei der Vergewaltigung.

Obwohl es mich erschreckt, dass diese Art von „Hilfe“ gelegentlich noch angeboten wird durch gutmeinende (und fehlgeleitete) Leute, ist es glücklicherweise nicht länger die Norm. Dein unterstützender und einsichtiger Kommentar beweist dies. Danke dir.

Willst Du alle Kommentare lesen? Dann gehe auf die Web-Seite von Elephant Journal, scrolle bis zum Endes des Texts und drücke dann auf

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Quelle: Elephant Journal, 31.Oktober 2011

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