«Es waren verstörende Worte, die vor dem Obergericht ausgesprochen wurden.»
So schrieb der Zürcher Tages-Anzeiger im Dezember 2015.
Und fuhr fort:
»Sie passten so gar nicht zu den mehrfachen… sexuellen Handlungen, um die es ging. Aber die heute 25-jährige Frau sagte: „Alles, was passiert ist, war sehr angenehm. Ich hab’s genossen.“«
»Über zwei Stunden musste die junge Frau Auskunft geben über die Ereignisse, die sich zwischen ihrem dritten und sechsten Lebensjahr abgespielt haben sollen. Beispielsweise, dass ihr Vater mit ihr auf dem Wohnzimmersofa… sass, man gemeinsam einen Pornofilm schaute, er seine Tochter auszog und an den Brustwarzen anfasste. Beispielsweise, dass er ihr im ehelichen Bett zwischen die Beine fasste und sie ihn – nach seinen Anweisungen – mit der Hand befriedigen musste. Beispielweise, dass es auf dem Bett in seinem Arbeitszimmer zu gegenseitigem Oralverkehr kam.«
»Fünf konkrete Übergriffe«
»Heute, zwei Jahrzehnte später, kann sie sich konkret an fünf Übergriffe erinnern, weil sie von ihnen Bilder im Kopf hat, „die nicht weggehen“. Aber sie sei sicher, dass es mehr gewesen seien. Doch an vieles will sie sich auch nicht mehr erinnern. Ruhig, sprachlich sehr gewandt, beantwortet sie alle Fragen, soweit es die Erinnerung eben zulässt.«
Das geschah vor der zweiten Instanz. Die erste hatte die Aussagen der Frau für zu wenig präzise gehalten, und darum den von ihr angeklagten Vater freigesprochen.
»Es gab keinen Zwang«
»Der Vater hatte die Übergriffe von allem Anfang an bestritten. Für das Obergericht jedoch waren seine Aussagen «nicht überzeugend» – im Gegensatz zu jenen der Tochter. Sie hatte auf die Frage, warum sie sich gegen den Missbrauch nicht gewehrt habe, gesagt: „Ich habe mich gut gefühlt, es war lässig. Ich hatte keinen Grund zum Neinsagen, konnte mit meinem Vater zusammen sein und mich als etwas Besonderes fühlen. Es gab keinen Zwang, keine Drohung.» Es sei alles «freiwillig und spielerisch» gewesen.“«
Genau diese Offenheit, mit der die Frau auch über die positiven Gefühle berichtete, die sie als kleines Mädchen bei den sexuellen Handlungen mit ihrem Vater empfunden hatte, hat ihr das Vertrauen des Gerichts eingetragen. Manche Leute hätten wohl genau gegenteilig geurteilt. Wer sexuelle Handlungen durch den eigenen Vater als lustvoll empfunden schildert, der kann das unmöglich ernsthaft meinen, so ginge ihre ablehnende Wertung.

»“Wer sagt so etwas, der seinen Vater mit falschen Anschuldigungen in die Pfanne hauen will?“, fragte das Gericht in der Urteilseröffnung. Dass die Frau erst im Sommer 2012 Strafanzeige erstattet hatte, leuchtete dem Gericht ein. „Ich hatte Angst vor dem, was sie auslösen kann.“ Erst nach dem Auszug von zu Hause und vor Beginn eines Austauschjahres im Ausland wollte sie reinen Tisch machen, um nachher „neu anfangen“ zu können.«
Das Obergericht verurteilte den Mann zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten – auf Bewährung. So ganz mochte es dem Vater wohl auch nicht gram sein.
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Gerne würde man mehr über die Beweggründe wissen, die die Tochter schliesslich doch zur Anzeige bewogen. Um „reinen Tisch zu machen“? Daraus lässt sich schliessen, dass doch etwas übrig geblieben ist; etwas, was die Tochter vom Vater entzweite. Zu wissen, was das genau war, wäre lehrreich. Es würde mehr Licht ins Dunkel dessen bringen, was Sex zwischen Erwachsenem und Kind bei diesem zurück lässt. Unerwartet ist jedoch beides nicht, weder das unproblematische Geniessen der sexuellen Zuwendungen, das der Berichterstatter „verstörend“ nennt, noch die später auftretende Kluft. Es gibt da zum Beispiel das Buch von Susan Clancy: Der Trauma Mythos, worin diese amerikanische Psychologin die Resultate einer Forschungsarbeit wiedergibt, die sie an der Harvard University gemacht hat. Ihre Ergebnisse folgen eins wie das andere genau diesem Muster: die Kinder hatten als Kind kein Problem mit dem, was heute allgemein als kaum zu ertragen gilt, werden aber später von den Nachwirkungen eingeholt. Ich werde vielleicht später die von mir angefertigte Deutsch-Übersetzung zum downloaden in den Blog stellen.
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Quelle: Tochter brachte Vater 20 Jahre nach Missbrauch vor Gericht. Tages-Anzeiger, Zürich, 4.12.2015. https://www.tagesanzeiger.ch/
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