Ihr erstes Mal / Die Versuche mit ihrem schwulen 13jährigen Freund / Anlauf zum Strip Tease / Promotion-Tour für Maladolescenza / Ihr erstes Mal der anderen Art / Prostitution.
Wer Teil I nicht gelesen hat oder sich nicht mehr erinnert, der holt das vielleicht besser zuerst nach, um den Anschluss zu haben und die Stimmung zu kennen. Ich habe übrigens seit der Veröffentlichung eine nicht geringe Zahl interessanter Ergänzungen angebracht, die teils aus den Büchern stammen, welche Eva seither publiziert hat.
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===> zu Teil I Eva Ionesco I – Das Skandalkind. Evas Kindheit bis 11
Hier schiebe ich nun meinen neuen Text ein. Er fusst auf neuer Produktion aus der Feder von Eva. Im Frühjahr 2022 erschien von ihr das zweite Buch, LES ENFANTS DE LA NUIT [Die Kinder der Nacht].* Es setzt zeitlich kurz nach den Dreharbeiten zu Maladolescenza [„Spielen wir Liebe“] ein, als ihre Freundschaft mit Christian Louboutin begann, und sie bald ihr „erstes Mal“ hatte – mit einem Anderen. Mit Christian hatte sie schon heftig herum gemacht, es hatte sie sehr erregt, was sie alles in dem Buch ganz klar und unglaublich detailliert berichtet. Aber er musste sie letztlich enttäuschen. Der Dreizehnjährige hatte ihr schon bald in klaren Worten gesagt, dass er nur mit Jungen Sex haben kann.
1976
Als Überschrift des ersten Buch-Kapitels dient eine Jahreszahl: 1976. Eva ist am 18. Juli 1965 geboren. Was sie in diesem Kapitel erzählt, hat sie erlebt, bevor sie 11 ein halb war.
Zunächst berichtet sie von Erinnerungen an die Zeit vorher, die sie beschäftigten:
»Insgeheim fürchtete ich mich vor der Veröffentlichung von SPERMULA, einem Film, in dem ich eine Novizin spiele, die von einem fernen Planeten gekommen ist, um Männer zu töten, indem sie deren Sperma schluckt, und die vor lauter Aufregung nicht aufhören kann, zu masturbieren, sowie vor Maladolescenza, in dem drei Kinder Sex haben.« [S. 21]

1976 erschien in einer deutschen Zeitschrift ein Artikel, in dem sich über Irina Ionesco beschwert wurde, weil ihre damals 11-jährige [in Wirklichkeit 10jährige; mb.] Tochter Eva in diesem „Erwachsenen“-Film mitspielte, und zwar nackt (wenn auch offensichtlich nicht in Sexszenen). Dieser Artikel enthielt Fotos von Eva am Set, sowohl bekleidet als auch völlig nackt, teils neben anderen Frauen, die in dem Film vorkommen. Heute zu sagen, in welchen Szenen Eva wirklich mitgespielt hat, ist schwierig, da vor der Veröffentlichtung durch die Zensur bis auf einige unbedeutende Auftritte alle Szenen herausgeschnitten wurden, in denen Eva auftrat. Es soll derzeit 3 verschiedene Versionen geben. https://www.maniaco-deprebis.com/index.php?post/2018/11/Spermula
Was die angeblichen Mastrubationsszenen betrifft, so hat Eva in einem 2014 gegebenen Interview etwas Klarheit geschaffen:
„Es war die Zensur, die mich gelöscht hat. Ich muss dazu sagen, dass ich eine sehr erotische Szene gespielt habe, in der ich masturbiert habe. Aber nur zum Schein.“
„C’est la censure qui m’a effacée. Il faut dire que je jouais une scène très érotique dans laquelle je me masturbais. Mais pour de faux.“
Clovis Goux, Comme si c’était du cinéma. In: Vice, 30. Juni 2014.
Allerdings wüssten wir gerne, was „zum Schein“ heisst. Vermutlich wurde das Ausgelassene durch Handbewegungen angedeutet. Die können dann noch immer mehr oder weniger konkret gewesen sein. Vermutlich wurde die Szene nackt gespielt (siehe Link zur Web-Seite maniaco-deprebis; weiter oben).
Zurück zum Anfang des zweiten Buches von Eva. Sie beschreibt dann, wie sie an einem warmen Tag durch Paris flanierte, in einem gelben Mini-Pullover, auf 10 cm hohen Absätzen, zufrieden mit ihrem Körper. Sie fühlte sich ,,unaussprechlich weiblich“. Dass der Pullover durch einen passenden BH „furios“ gewölbt wurde, und dass ihr volles, blondes Haar bis zu den Mini-Shorts herunter reichte, trug dazu bei. Ihr Blick fiel auf die vielen Ami-Schlitten, und sie fantasierte alsbald, wie so ein Cadillac oder Buick sie mitnehmen würde – „for a ride with someone somewhere…“ Ihre Mutter folgt ihr schwarz gekleidet in einiger Distanz.
Dann sassen sie zu dritt in einem Café, und Gene blinzelte ihr zu, liess seine Augen über ihren Körper wandern und fragte Irène [Evas Mutter] nach ihrer Telefonnummer. Eva mochte ihn nicht besonders, aber wiesie schreibt, hatte sie eine Schwäche für schöne Rocker, und Gene war ein solcher; mit eigener Band und einem metallic blauen Buick mit weissen Lederpolstern (im Buch gibt sie seinen vollen bürgerichen Namen an). Er war 24.
Eva wusste noch nicht, dass sie bald eine „Fahrt“ mit diesem blauen Buick erleben würde – und das bedeutete eine Fahrt mit Gene.
Die Mandoline
Zunächst kam es zu einer heftigen sexuellen Begegnung mit Christian, der sich schon in den ersten Tagen, als Eva das Lyzeum besuchte, zu ihrem Beschützer machte, wenn sie in ihrer Klasse gemobbt wurde, was häufig vorkam.
Bald darauf, als Christians Eltern für ein Wochenende verreist waren, erlaubte Mutter Irène ihrer 12-jährigen Tochter zum ersten Mal, eine Nacht mit ihrem Freund zu verbringen. Sie wusste bereits, dass er homosexuell war und sah daher keine Gefahr. Christian:
– Wie wäre es mit einer Mandoline?
– Was ist eine Mandoline?
– Eine Mandoline. Sei nicht dumm… wir holen uns einen runter!
»Er zog sein Höschen aus und streichelte sich, es war ein Spiel. Ich hob das Laken an, er hielt sein Geschlecht fest in der Hand und einen seiner Schenkel hoch … Im Gegenzug winkelte ich ein Bein an und ließ meine Hand über mein Geschlecht gleiten und spreizte meine Lippen, mein Kitzler war hart und ich rieb ihn grob, das flüssige Geräusch, das von meinen Lippen tropfte, faszinierte ihn, wir lachten, bereit, aufzuhören. Ich sagte „gut…“ Er sagte „mach weiter“. Ich machte weiter, wölbte meine Lenden, wichste noch stärker, wegen der Nacht und des Alkohols schwitzte ich mehr… Er konzentrierte sich und sein Atem beschleunigte sich, ich stöhnte kaum hörbar, er kam zuerst und ich folgte ihm und kam, traute mich aber nicht, mein Vergnügen nach ihm bis zum Ende fortzusetzen und unterbrach mich.« [S.82]
»Il a retiré sa culotte et s’est caressé, c’était un jeu. J’ai soulevé le drap, il tenait ferme son sexe dans sa main et une de ses cuisse relevé … A mon tour j’ai plié une jambe et glissé ma main sur mon sexe et écarté mes lèvres, mon clitoris etait dur et je me le suis frotté brutalement, le bruit liquide s’écoulant de mes lèvres l’intriguait nous avons ri, près à arrêter. J’ai dit „bon…“ Il a dit „continue“. J’ai continué cambrant mes reins, je me suis branlé encore plus fort, à cause de la nuit et de l’alcool je transpirais davantage… Il se concentra et sa respiration s’accèlera, je gémissais à peine d’une petite voix, il est venu le premier et je l’ai suivi et j’ai joui mais n’osait pas continuer mon plaisir jusqu‘ au bout après lui et je me suis interrompue.« [S.82]

Die Fahrt mit dem Buick – Evas echtes „erstes Mal“.
Als sie Gene zum zweiten Mal begegnete, bot er ihr tatsächlich einen ride an, doch Eva war noch nicht so weit. Beim dritten Mal hatte Christian gerade keine Zeit für sie, und sie empfand jetzt den Wunsch, „meine Feuertaufe zu beginnen.“ [S.127] Sie ging nach Hause, benutzte ihren Eye liner, setzte Rouge auf und zog ihren Strapshalter–Gürtel mit den Spitzen an. Dann begab sie sich zum Lokal, wo Gene verkehrte.
– Ich wusste, dass du zurück kommen würdest, Eva. Möchtest du eine Ausfahrt im Wagen machen?
– Darum bin ich gekommen.
Nachdem sie sich tief in die Polster hatte fallen lassen, forderte er sie zu einem Schluck Whiskey auf. Sie hätte einen Malibu Coco vorgezogen.
– Tu viens chez moi? Kommst du zu mir nach Hause?
Er legte Blue Moon auf und gab Gas.
Eva zog es vor, ihr erstes Mal mit einem Mann zu haben, den sie nicht liebte, denn die Liebe hätte sie zerstören können – wie sie schreibt -, wenn es zu einem brutalen Ende gekommen wäre.
– Wie alt bist du?
– Elf ein halb.
„Onze et demi bordel,“ zischte er leise durch die Zähne.
[In Wirklichkeit konnte Eva zu jenem Zeitpunkt noch nicht ganz elf ein halb gewesen sein. Geboren am 18. Juli 1965, war sie es erst am 18. Januar des nächsten Jahres. Im Buch beschreibt Eva aber noch mehrere Ereignisse nach diesem ersten Mal; alle noch vor Weihnachten. Ich schätze aufgrund der Beschreibungen für ihr Erlebnis mit Gene den späten September, eher den Oktober als zutreffend ein, einerseits aufgrund der Natur- und Stimmungshinweise, andererseits aufgrund dessen, was nachher noch alles folgte, bevor Weihnachten eintraf. Dann hätte ihr Alter bei 11 Jahren und etwas mehr als 2 Monaten, höchstens bei 11 und 4 Monaten gelegen.]
„Gene war kein Zärtlicher, und das Böse in ihm zog mich an wie ein Magnetpol.“
Eva Ionesco – Les enfants de la nuit. S.144
Er holte eine Schachtel hervor.
– Was ist das?
– Ein Schlafmittel für Elefanten. Wenn du’s mit Alkohol zusammen trinkst, dann liegst du bestimmt richtig.
Sie realisierte den Hinterhalt.
In Genes Wohnung angekommen, servierte er Eva einen Bourbon mit viel Zucker. Dann landete sie in seinem Bett. Sie küssten sich und „unsere Zungen und unser Speichel mischten sich.“ [S.136]
»Dann fuhr er mit einem Finger zwischen meine Haut und meinen Strumpfgürtel. Das war eine Explosion, bei der ich mich an nichts festhalten konnte…« [S.137]
»Gene verschwand im Badezimmer und kam mit einer halben Erektion unter einem nachtblauen Seidenbademantel mit roten Punkten zurück, sein muskulöser Bauch und seine Schultern leicht gebräunt, er nahm seine Uhr ab, also streckte ich meine Beine aus mit dem Gefühl, trotz allem erwachsen geworden zu sein. Er lehnte sich zurück, um seinen Kieferknochen in die Handfläche zu legen, und umfasste meine Taille. Sie war so eng und meine Hüften so schmal. Gene küsste mich heftig, dann zog ich mein Haar zurück und wölbte mich, also ging er auf die Knie, um sich besser einen runterholen zu können, während er mich anstarrte, und als mir die Augen zufielen, legte er sich schnell auf meinen Körper, er war schwer. Er spreizte meine Schenkel mit seinen Fingern, er konnte mit seinem Geschlecht nicht in meines eindringen, also spuckte er in seine Hand, um sie zu befeuchten, was ihm den Eintritt ermöglichte. Dann sank er wieder auf meinen Körper und versuchte, sich mit verkrampften Augen zu konzentrieren, während er mir an die Brust fasste. Ich ahmte das Räuspern und den Orgasmus nach. Er stieß einen langen Orgasmusschrei aus und sein Sperma ergoss sich über meinen Bauch. Er warf sich mit dem Kopf in sein Kissen und ich dachte, das ist es, es ist getan.« [S.139]
»Gene est sorti de la salle de bains en demiérection sous un peignoir de soie bleue nuit à pois rouges, son ventre et ses épaules musclés légèrement hâlés, il a retiré sa montre alors j’ai étendu mes jambes avec ce sentiment d’avoir grandi malgré tout. Il s’est accoudé pour mieux poser son maxillaire dans la paume de sa main et empoigné ma taille. Elle était si fine et meshanches si étroites. Gene m’a embrassé farouchement, puis j’ai tiré mes cheveux en arrière et je me suis cambrée alors il s’est mis à genoux pour mieux se branler en me fixant et lorsque n’y tenant plus mes yeux se sont fermés, il s’est rapidement allongé sur mon corps, il pesait lourd. Il a écarté mes mes cuisses à l’aide de ses doigts, il n’arrivait pas à s’introduire dans mon sexe avec le sien alors il a craché dans sa main pour les humidifier ce qui lui a permis d’entrer. Il allait et venait à cadence regulière et je n’éprouvais aucun plaisir, sauf un peu quand il m’a relevée me tenant dans ses bras, puis à nouveau il s’est effondré sur mon corps s’efforçant de se concentrer les yeux crispés en m’empoignant un sein. J’imitais le rale et la jouissance. Il a émis un long cris d’orgasme, son sperme s’est déversé sur mon ventre. Il s’est jeté violemment la tête dans son oreiller et jâi pensé ça y est c’est fait.« [p.139]
– Bist du gekommen?
– Ein bisschen.
– Du bist nicht gekommen.
– Doch, doch.
– Nein. Aber du warst nicht mehr Jungfrau.
– Warum?
– Normalerweise blutet ein Mädchen beim ersten Mal. Hast du schon mit einem geschlafen?
»Ich hatte Lust, ihm alles zu erzählen, wie ich mich ganz allein defloriert hatte, aus Angst, von einem Mann entjungfert zu werden. [Eva beschreibt das ausführlich im 1. Buch, nachzulesen in meinem Teil I – „Das Skandalkind“] Aber ich hielt mich zurück. Er war so enttäuscht, nicht der erste zu sein. Dann hat mich der Schlaf verschlungen.«
Am anderen Morgen äusserte Eva den Wunsch, nach Hause gefahren zu werden. Doch er musste angeblich dringend in die Vorlesung, er studierte ja auch noch, Politologie. Eva verwies er auf den nahe gelegenen R.E.R. [Banlieue-Netz] -Bahnhof. Nicht einmal zu dem hin konnte oder wollte er sie fahren.
Eva marschierte allein dem Ufer der Marne entlang, ausserhalb von Paris. Dorthin hatte es sie verschlagen. Ihre Schenkel schmerzten sie.
Zurück in der Stadt traf sie eine Bekannte, die sich wunderte, dass sie nicht in der Schule war. Eva bekannte, mit einem Jungen geschlafen zu haben, und dass sie darum fast nicht mehr gehen konnte.
– Das ist normal das erste Mal, das ist wie wenn du geritten wärst…


Viel älter als auf diesen beiden Bildern (beide aus Maladolescenza) konnte Eva während der Episode mit Gene nicht ausgesehen haben.
…
[Tage später.]
Als sie in seinem Lokal wieder auf ihn stiess, fragte er sie erneut, ob sie mit ihm fahren wolle, und sie fuhr mit.
– Zeige mir deine Schenkel. [S.146]
Sie hob den Jupe an, er streichelt sich ein bisschen über den rauhen Stoff seiner Hose. und Eva nähert sich ihm, um ihm einen Kuss zu geben, doch er stösst sie zurück.
Dann erklärt er ihr, dass er einen Plan habe.
Er öffnet das Handschuhfach und entnimmt diesem einen Revolver. Eva hat Angst.
– Hast du gesehen?
– Was ist das ?
– Eine Beretta. Ich kann dir das Schiessen beibringen.
– Warum nicht.
– Aber du musst vernünftig sein.
– Was ist dein Plan?
Er lässt seine bewaffnete Hand auf ihren Schenkel fallen. Dann erklärt er ihr, dass er einen Überfall auf einen Supermarkt beabsichtigt. Eva sollte dabei im Buick bleiben und wohl das Umfeld beobachten. Sie überlegt und kommt zum Ergebnis, dass er ein Gangster ist – und sagt zu.

– Ich wusste, dass du nicht nein sagen würdest, Baby.
Dann küssten sie sich, er liess die Hose herunter, bekam eine Erektion, „also habe ich ihm einen blow job gegeben. Ich zog das vor, vor allem in dem Wagen in weissem Leder.“ Er kitzelte Eva mit seiner Beretta am Rücken. Dann stiess er ihr Gesicht heftig zurück. Er kam nicht in ihrem Mund sondern in ein Kleenex, welches er hastig aus einer Seitentasche zog. [S.147]
Eva schlug sodann ein Date mit Christian aus, weil sie auf das Telefon von Gene warten wollte; den Aufruf zum Kassenraub. „Ich war vom Buick mit den weissen Lederpolstern total besessen.“ [S.149] Als Gene sie schliesslich abholte, hatte der Überfall schon stattgefunden und war gescheitert.
Diesmal sollte es noch weniger zu Evas Vergnügen werden. Er wollte sie anal nehmen. Eva: Wenn du mich anrührst, dann schreie ich.“ Darauf hin warf er die Vaseline-Dose weg. Was dann geschah, ist unklar. Jedenfalls wies er Eva an, sich zu entspannen. Dann:„Er bewegte sich brutal und mechanisch vor und zurück.“ Was doch auf einen Vollzug des Analverkehrs hindeutet.
Schliesslich liess er sie wissen, dass er auch mit ihrer Mutter Sex gehabt hatte. Auf dieselbe Weise. [S.153]
Auf seine misstrauischen Fragen hin gestand Eva ihrem Freund Christian, dass sie mit Gene geschlafen hatte, und dieser mit ihrer Mutter. [Genes Verlobte stand übrigens für Evas Mutter Modell für ihre Schwarz–Weiss–Fotografien mit dem dezenten Sadomaso–Anstrich. Eva war schon Zeuge geworden – siehe Teil I.] Christian explodierte vor Wut, und Eva rief Gene an, um ihm mitzuteilen, dass es aus war zwischen ihnen. [S. 163]
Inzwischen war es Weihnachten. Eva schien es, Irène wolle sich irgendwie um die Feier drücken. Der in letzter Minute erstandene kleine Tannenbaum hatte in der ersten Nacht alle Nadeln verloren. Wegen Platzmangels war er zu nah an den Radiator gerückt worden.
– Du hast mit Gene geschlafen, dem verrückten Rocker vom Marne–Ufer? Sag mir die Wahrheit!
– Was geht dich das an, du blöde Fotze?!
– Ich muss es wissen.
– Pour quoi fairrre? [Eva äffte, wie gern in solchen Momenten, den rumänischen Akzent ihrer Mutter nach.]
– Weil du noch ein Kind bist und er ein Ekelpaket, ein gefährlicher Psychopath…
„Ich versetzte ihrem Tannenbaum einen Fusstritt, die Kugeln zerfielen in Staub.“
– Ich bin schon seit langem kein Kind mehr, Maman! Mit dem, was ich erlebt habe, bin ich zehnmal eine Frau, merk dir’s!
– Und deine Maman lässt du ihn wiedersehen, deinen Chéri?
– Nach dem, was er mit uns gemacht hat, glaube ich nicht!
– Er hat dich scheint’s von hinten genommen?
– Und dann kommst du mir mit dem… [S.168]
…
Etwas unvermittelt überreichte Irène ihr dann einen Briefumschlag.
– Tiens, das sind Sous für deine Weihnachten. Du wirst dir bei den Tuilerien Waffeln gönnen mit Christian, und die Jacke mit dem Blaufuchspelz abholen. Mamie ist nicht hier. [Mamie war die Urgrossmutter und Betreuerin von Eva, die mit ihr zusammen wohnte]. Weihnachten ohne Mamie sind keine Weihnachten.
Schliesslich verwies sie Eva noch auf den bevorstehenden Rom-Besuch für sie beide. Es ging um die Promotion für Maladolescenza [„Spielen wir Liebe“] [Das war typisch Irène. Sie hatte wohl längst gemerkt, dass Eva von diesem Film, auf deutsch gesagt, ziemlich angepisst war. Aber sie verabreichte ihr die Aussicht auf einen Promotion-Auftritt als Zückerchen. Die Frau tat sich schwer damit, etwas das in ihrem eigenen Interesse lag, mit den Augen eines Dritten, z.B. ihrer Tochter, zu sehen.]
Striptease für ein Motor-Bike
Dort wo die Prostituierten flanieren, wo die Friten-Buden und allerlei Strassenküchen die Luft mit süsslichen und öligen Gerüchen füllen, dort suchte Eva eine Art Wohnwagen, die Karawane von Marcelle. Wie meistens bei ihren Streifzügen durch die Stadt war sie begleitet von Christian und anderen Freunden aus der Bande. Sie wussten schon, dass es dieses spezielle Unternehmen gab, welches eine Art Jekami-Strip Tease [„Jeder kann mitmachen“] anbot. Dem Betrachter bot es die Möglichkeit, für wenig Geld halbwegs bekannte Persönlichkeiten aus dem Show Business und verwandten Zweigen nackt zu bewundern.
Eva hatte einen Plan. Sie träumte von einem eigenen „Velomoteur“. Damit war vermutlich ein Velo-Solex gemeint, jenes eminent praktische Ding des urbanen Lebens, welches eigentlich nur ein normales Fahrrad war. Nach etwa zehn etwas anstrengenden Pedaldrehungen liess sich dann aber ein schwaches Benzinmotörchen auf das Vorderrad absenken. Darauf übernahm dieses durch direkten Gummirollen-Kontakt mit bescheidener Geschwindigkeit den Antrieb. Ein solches Vehikel hätte ihr in Paris wohl eine [noch] stärkere Präsenz verliehen… Das Geld dazu hätte sie sich durch eigene Strip Tease Auftritte anschaffen können, so dachte sie.
Über moralische Skrupel war die Zwölfjährige hinweg:
„Da ich kein normales Mädchen mehr war, weil meine Mutter mich verdorben und beschmutzt hatte, schützte mich der Mief, und ich hatte keine Angst vor ihm. Für manche war er nur eine ästhetische Angelegenheit, eine Schlamperei, für mich besaß er moralische Tugenden, ich fand darin eine Form der Brüderlichkeit, ein stillschweigendes Gleichgewicht, eine Menschlichkeit.“
Eva Ionesco, Les Enfants de la Nuit. S. 178.
Vor dem Wohnwagen war gerade eine Vorschau im Gang, bei der die Strip Tease Teilnehmer, vielversprechend angezogen, lautstark angepriesen wurden, um Kunden anzulocken. Eva überwand die Altersschranke mit Hilfe einer Bekannten aus ihrer Bande, die dort bedienstet war. Dann stiess sie im Innern auf Marcelle:
– Was willst du hier, meine Schöne?
– Strip Tease machen, aber dazu muss man das Schauspiel zuerst anschauen.
– Wie alt bist du? Zeig mir deine Papiere.
»Ich zeigte ihr meinen Identitätsausweis. Sie hat gepfiffen.«
– Hier geht es nicht. Du bist viel zu jung. Aber in Soissons am Wochenende…
– Wieviel gibt es?
– 500 francs für zwei Tage, Beherbergung inbegriffen. [S.181]
Den Hinweis auf Soissons vergass Eva nicht so schnell. Den Traum vom eigenen Velomoteur versuchte sie noch lange umzusetzen.
Maladolescenza – die Promotiontour
Sie war 12 [nach ihrer eigenen Angabe], als Eva mit ihrer Mutter zusammen einen Besuch in Rom abstattete. Sie hatte dort einen Pflichtauftritt, sie musste Interviews geben. Der Film Maladolescenza („Spielen wir Liebe“) war fertig gestellt, nun sollte die Promotion anlaufen. Eva fühlte sich abgestossen von der Vorstellung, im Dabeisein von Irène wieder dem Regisseur zu begegnen. Irène und der Regisseur waren sich während der Dreharbeiten näher gekommen, so nahe, dass Irène von ihm schwanger geworden war.

Szene vom Filmset. Rechts Irène Ionesco mit Eva, links Lara Wendel mit ihrer Mutter. Im Buch ärgert sich Eva, dass ihre Mutter sie damals ständig voll Eifersucht verfolgt hat. Vielleicht, weil sie mit ihrer Tochter rivalisierte, wurde sie schliesslich vom Regisseur schwanger. [Quelle unbekannt.]
Der Reporter einer Sensationszeitung wollte von ihr wissen, ob sie wirklich mit Lara und Martin, ihren Film-Partnern, bei den Dreharbeiten 11 und 17 Jahre alt, zusammen geschlafen habe. Eva verneinte. [S.207] Dann fragte er, ob sie schon Liebe gemacht habe. Eva: Nein. Er versuchte, weitere wichtige Fragen zu klären, wie zum Beispiel diese:
– Tragen sie eine Unterhose?
– Warum stellen sie mir diese Frage? [S.208]
Irène intervenierte, Eva sei müde. Der Interviewer wehrte sich. Er müsse ein Interview abliefern, welches dem skandalösen Charakter des Films gerecht werde. Irène sprang mit Anekdoten aus ihrem Leben ein. Sie erzählte, dass sie im selben Alter, wie Eva den Film gedreht hatte, also mit 11, mit ihrem Klavierlehrer geschlafen habe, und sie sich niemals beklagt habe. Er habe sie alles sehr früh gelehrt.
Am Tag darauf fanden sie am Kiosk die Zeitung mit dem Interview. Die Überschrift: „Die Puffmutter und ihre Tochter ohne Unterhosen.“
Sie verliessen Rom fluchtartig. Der Film aber habe, so schreibt Eva im Buch, den Wunsch des Produzenten erfüllt. Er habe von den ersten Vorstellungen an die Besucherzahlen von Rocky übertroffen. [Rocky mit Sylvester Stallone feierte am 21. November 1976 Premiere und wurde ein grosser Erfolg.]
In der italienischen Tageszeitung La Stampa vom 25. Mai 1977 fand ich einen Bericht über einen Pressetermin mit Eva Ionesco, Lara Wendel, und den beiden Müttern in einem Mailänder Club, vor einem „Wald von Fotografen.“ Auf die Frage, ob ihr der Film gefalle, soll eine wütende Eva geantwortet haben:
„Er ist vulgär, schockierend und sinnlos. Ich hoffe, dass er in Frankreich zensiert wird, denn ich würde mich vor meinen Freunden schämen.“ i
Eva, 12, über Maladolescenza.
[Obiger Satz scheint mir etwas zu ausformuliert für eine Zwölfjährige. Die Journalistin von La Stampa ging da offenbar nochmal drüber.] Eva soll auch gesagt haben, dass sie keine erotischen Filme mehr machen werde. Interessant ist, dass während der ganzen Zeit, „bemüht und nörgelnd“, die Mutter hinter der „Pornodiva in Miniatur“ gestanden und sie ermahnt haben soll: „Sei nicht so mürrisch! Lächle…“ [Ich habe übrigens allein im Archiv der La Stampa, aus dem Zeitraum von etwa Mai 1976 bis Juli 1977, mehr als vier Berichte über Eva gefunden, jedes Mal mit Bild, aber nicht aktuell am jeweiligen Termin geschossen, sondern den „mütterlichen“ Publikationen von Evas Erotika entnommen. Darunter war eines mit dem etwa neunjährigen, nur mit einem Tanga bekleideten Kind, halbwegs auf der Seite liegend, das Höschen an der Hüfte packend, als ob sie es nach unten streifen wollte. Und das in der konservativ-liberalen La Stampa. Heute unvorstellbar.ii]

Ebenfalls an diesem Mailänder Termin wollte eine Journalistin wissen, ob die Mädchen den Fabrizio, ihren „lüsternen“ Film-Partner, gemocht hatten [er nahm am Anlass in Mailand nicht teil]. Sie sollen im Chor geantwortet haben:
« Per niente, è brutto, magro come un chiodo e bianco come un verme. E non si decideva mai a spogliarsi nelle scene d’amore».»iii
« Überhaupt nicht, er ist hässlich/dumm/unfreundlich, dazu dünn wie ein Nagel und weiss wie ein Wurm. Und er konnte sich nie dazu aufraffen, sich vor den Liebesszenen auszuziehn.»
Das vernichtende Urteil über diesen „Knaben“, diesen bleichen Wurm, der sich nie ausziehen wollte, wirkt besonders brisant, wenn man es mit der Charakterisierung jenes Rockmusikers (‚Gene‘) vergleicht, den Eva zwei, drei Monate nach Ende der Dreharbeiten für ihren ersten „richtigen“ Sex gewählt hatte:
„Gene war kein Zärtlicher, und das Böse in ihm zog mich an wie ein Magnetpol.“
Das 11 1/2 jährige Mädchen wollte „es“ offenbar wissen, und es wollte keinen Zögerlichen, keinen Zarten. Vielleicht war sie sich da deswegen so im Klaren, weil ‚Fabrizio‘ sie enttäuscht hatte, oder er hatte sie enttäuscht, weil sie sich von diesem ersten sexuellen Kontakt mehr versprochen hatte.
Am 16. Juni1977 folgte dann eine Meldung, die wie die Schlussnote und der Übergang in eine neue Epoche anmutet. Die Generalsekretärin des italienischen Frauenverbandes soll persönlich in Genf eine Anzeige gegen die Verletzung der Charta der Kindesrechte bei der UN-Menschenrechtskommission eingereicht haben. Bezeichnend für den Diskurs der 70er Jahre ist die Begründung. Um „diesem schmutzigen Markt“ ein Ende zu setzen, wird…
„ … an ein weltweites Gremium von „hohem moralischen Wert“ und „an alle zivilisierten Völker“ appelliert, „dieser Verunreinigung des Gewissens der Kinder ein Ende zu setzen.“
Der Film sei „…mit Sicherheit das Vorspiel zu einer zukünftigen korrupten Gesellschaft ohne geistige und moralische Werte, wenn dem nicht Einhalt geboten wird.“ iv
Von psychischen Folgen bei den Kindern war noch nicht die Rede. Noch ging es um Moral, um Zivilisation und die Intaktheit der Gesellschaft – und beim Kind um sein Gewissen und – natürlich – um die Reinheit. Nicht wirklich um das Kind als verletzliche Person also, nicht um das Kind selber. Noch wird es nicht als Opfer gesehen.
Evas zweites „erstes Mal“ – von der anderen Art
Nicht als Opfer, sondern als Akteurin oder Mitakteurin, erscheint Eva im nächsten Kapitel, und das „ohne Gewissen“.
Das Abenteuer begann in der damals noch berühmtesten Disko von Paris, genannt La Main Bleue, die allerdings bereits herausgefordert war von der auftauchenden Konkurrenz des Le Palace, wo Eva mit ihrer Bande verortet war, obwohl sie auch andere Lokalitäten aufsuchte. Um das Palace auszustechen, wollte der Entertainer ein riesiges Fest starten, zu dem er auch die noch nicht zwölfjährige Eva mit ihrem „Striptease der Minderjährigen“ einlud, wie die Zeitschrift Vanity Fair es später nannte.v Sie war begleitet von einer noch nicht Dreizehnjährigen. Vor der Performance verabreichten sie sich Heroin. Über ihren Auftritt, der zum damals aktuellen Ohrenwurm von Françoise Hardy „Tous les garçons et les filles de mon âge“ erfolgte, schreibt Eva, wie von allen Seiten her die Rufe „nackt“ erschollen, als sie Körperteil um Körperteil entblösste, „wie bei einer medizinischen Visite“. Ihre Badehosen, Stil 1960, habe sie allerdings anbehalten.
Im Publikum dabei war auch Edwige [Edwige Belmore], in Paris bekannt als die Königin des Punk; Model für Thierry Mugler und andere; Sängerin und Leaderin ihrer eigenen Band Mathematique moderne; Türsteherin und public face beim Dancing Le Palace, wo Eva ihren Ruf als Maskottchen von Paris begründete.

„Edwige“ zählte zur New Yorker und Pariser Partyszene rund um Stars wie Andy Warhol, war Stammgast im legendären New Yorker Studio 54 [wohin sie Eva einmal mitgenommen hat – vgl. meinen Teil III, momentan off], ging mit… Blondie-Sängerin Debbie Harry, Bianca Jagger… aus. Eine Begegnung mit Paloma Picasso öffnete ihr die Welt des Jet Set… „Mit ihren platinblonden, kurzen Haaren und ihrer androgynen Schönheit hatte Belmore … Modeschöpfer wie Thierry Mugler und Jean Paul Gaultier in ihren Bann gezogen.“ Gaultier nannte sie nach ihrem Tod auf Twitter den „schönsten Platinengel“, den er je getroffen habe. [Text: Wiki; Bild: https://underground-england.com/ever-heard-of-edwige-belmore/%5D
Eva soll später bekannt haben, dass sie in jener Altersphase zeitweise heftig in Edwige verliebt war.v „Ihre Schönheit glich der einer teutonischen Gottheit.“ [S.229] Irgendwie fanden Eva und Edwige nach dem rauschenden Fest zur letzteren nach Hause. Was dann kam, ging über Verliebtsein hinaus.
»Mes pieds contre les siens et ma tête entre ses seins…« [meine Füsse gegen die ihren und mein Kopf zwischen ihren Brüsten], so begann es. Dann:
»Unsere nackten Körper trafen sich in der Milde der Nacht, ihre Lippen küssten meine, ihre Hand ruhte auf meinem Bauch, und dann leckte ihre Zunge mein Geschlecht. Ich streichelte sie, schlecht, plötzlich spürte ich, wie sie sich versteifte, und unsere Seufzer erstickten.« [S.230]
»Nos corps nus se sont rejoints dans la fadeur de la nuit, ses lèvres ont embrassé les miennes, sa main s’est posée sur mon ventre et puis sa langue a léché mon sexe, je l’ai caréssée, mal, soudain je l’ai sentie se raidir et nos soupirs se sont étranglés.« [S.230]
Das muss ungefähr im Frühjahr oder Vorsommer 1977 gewesen sein, jedenfalls vor dem 27. Juli [1977], einem Datum, welches einiges weiter hinten im Buch genannt wird. Eva war also knapp 12. Edwige hatte sie schon immer mit „meine Schöne“ und mit „mein Bébé“ und ähnlich schmeichlerischen Anreden begrüsst. Sie war acht Jahre älter als Eva, um die Zeit herum also um die 20.
Der Diebstahl
Eva wurde den Gedanken an ein Velomoteur weiterhin nicht los. Sie wollte ihn nun auf klassischem Umweg in die Realität umsetzen, nämlich durch einen schlichten Fahrraddiebstahl. Dazu stattete sie sich mit einer Beisszange aus, wie es sich bei Fahrrädern der gehobenen Klasse schon damals empfahl. Zusammen mit einer Freundin versuchte sie sich dann in einer der kommenden Nächte, scheiterte aber, weil sich ihre Zange als zu schwach erwies. Sie verliessen den Tatort auf getrennten Wegen. Eva hörte alsbald aus dem Dunkel heraus eine Stimme, die nach ihrem Ausweis verlangte. Es war ein Polizist, und der führte sie mangels der erforderlichen Papiere auf die Wache.
Als sie dort, auf die Mutter wartend, die sie heraus holen musste, trüben Gedanken nachhing, fiel ihr Edwige wieder ein. „Ich vermisste ihren Körper, ihren Geruch. Ich bedauerte, dass ich in jener Nacht nicht in der Lage gewesen war, mit ihr richtig Liebe zu machen und sie dazu zu bringen, dass sie kommt [faire jouir].“ [S.232]
Auf dem Heimweg löcherte sie Irène, ob Christian mit ihnen in die Ferien auf Mykonos kommen dürfe? Irène jammerte wohl sieben Mal, dass sie selber nie Freunde gehabt habe, willigte aber schliesslich ein. Sie versprach sogar, mit Christians Mutter darüber zu sprechen. Eva reiste mit einigen Freunden zusammen.
Mykonos
Auf der Insel teilte sich Eva ein Zimmer mit Christian. Ein solches Arrangement bedeutet viel räumliche Nähe an idyllischem Ort, und hätte damit viel Intimität ermöglicht. Man könnte vermuten, dass Eva sich am Ziel ihrer Sehnsüchte angekommen sah. In diese Richtung lief es tatsächlich, aber es blieb für Eva dennoch unbefriedigend – in jedem Sinne des Wortes. Das folgende Zitat zeigt dies – krass, aber auch tragisch [im Buch verfasst als Brief an Christian]:
»Wir sind nackt, ich habe vom Alkohol zugenommen, wir reiben unser … aneinander. Meins riecht stark, du konzentrierst dich auf deines. Wir wixen wie Freunde … Ich sage dir, dass du in mich eindringen musst, aber du ziehst dich zurück: „Unmöglich darauf zu bestehen, ich schaffe es nicht, wir haben es schon versucht, es bringt nichts.“ Du hast das gesagt, und ich bin barfuß mit meinem Nylonbeutel durch die Straßen gerannt, wie eine Verrückte bin ich gerannt. Ich habe mich schon immer verloren gefühlt, und auf dieser Straße mit ihren geschwätzigen Vögeln überkam mich der Gedanke an Verlassenheit: Liebe, das Bedürfnis, erfüllt [oder: ‚befriedigt‘] zu werden, die Sicherheit, dass die geliebte Person kommen wird, wenn ich nicht vorher sterbe.« [„kommen“ und „sterben“ – sexuell gemeint? – S.268]
»On est nu j’ai grossi à cause de l’alcool, on se frotte le sexe. Le mient sent fort, tu te concentre sur le tien. On se branle comme des copains … Le besoin que tu rentre en moi, je te le dis, mais tu te retires: „Impossible d’insister, j’y arriverai pas, on a déjà essayé ça sert à rien.“ Tu as dis ça et je suis partie pieds nus avec mon sac de nylon dans les rues et j’ai couru comme une folle. Je me suis toujours sentie perdue et cette idée d’abandon m’envahit dans cette rue peuplée d’oiseaux bavards: l’amour, le besoin d’être comblée, la prédiction que l’être aimée arrivera, si je meurs pas d’avant.« [S.268]
»Ich ging wieder auf die Jacht, in Lumpen, das Haar zu stark lackiert, um mich zu prostituieren, sie zögerten, sie fanden mich hässlich, also ging ich an Land.« [270]
»Je suis remontée sur le yacht en guenilles, les cheveux trop laqués pour me prostituer, ils hésitaient, ils me trouvaient laideronne alors je suis descendue à terre.« [270]
Soll das heissen, Eva ging auf die Jacht, und wollte sich dort prostituieren, doch ihre Haare waren zu stark lackiert, weshalb „sie“ zögerten? Oder sie hatte ihre Haare zu stark lackiert, weil sie sich nicht prostituieren wollte?
Prostitution
Es ist nicht das einzige Mal im Buch, dass von Prostitution die Rede ist. Nicht viel später kommt es tatsächlich dazu. Es dürfte sich um dieses eine Mal handeln – von Eva so bezeichnet –, das sie schon im ersten Buch kurz anspricht. Sie schien da aus einer Art Frust zu handeln, der sich einstellte, als ein weiterer von ihr verehrter Junge sie nicht küssen wollte. Auch dieser konnte es, wie er selber sagte, nur mit Jungen tun. Eva hatte es von der gleichaltrigen Justine erfahren, dass dieser als kleiner Knabe von einem Priester vergewaltigt worden war. Da meinte sie wohl in einem Anflug von Trotz, dass man sich da nur noch prostituieren könne, worin Justine ihr sofort zustimmte. Als Ort würden sich, wie Eva präzisierte, die Champs Elysées eignen. [S.285] Justine:
– Einverstanden. Und wie viel wollen wir verlangen?
– 500 francs
– 500 für beide?
– 500 für jeden, Justine!
– … und wie weit gehen wir?
– Das hängt davon ab, was er von uns will… man sagt sich einfach, dass man sich nackt zusammensetzt und ihm einen bläst, aber nicht richtig, und wenn er weiter gehen will, dann hängt man eine Null dran und sagt, dass es für die ganze Nacht gilt.
Unterwegs bemerkte Eva an einem Kiosk einen Aushang: „Oh merde, Andreas Baader hat sich umgebracht!“ Wahrscheinlich will die Autorin Eva im Buch damit das Datum markieren. Baader suizidierte am 18. Oktober 1977. Eva war folglich am Tag ihres mehr oder weniger erfolgreichen Prostitutionsversuchs 12 Jahre und 3 Monate alt.
Der Zwölfjährigen, die sich gerade im Hotelsalon nach einem geeigneten Freier umsah, legt die heutige Eva diese Gedanken in den Kopf:
»Diese Freude musste ich mir nehmen, sie mir auf die eine oder andere Art entreißen. Vergnügen war die Kraft der Armen … Ich ficke dich, nehme dein Geld und ciao Mao.« [S.287]
…womit sie wohl auch so etwa wie Rache als Motiv dieser Eskapade andeutet – eine grimmig-freudige Rache. Nun, es kam dann ziemlich undramatisch.
Durch Blickverständigung stellte sie das Interesse eines älteren Iraners fest. Justine liess ihre Weste über die Schultern gleiten, und Eva zog ihre langen Haare über die Hälfte des Gesichts und öffnete aufreizend den Mund.
[…]
Sie gingen zu dritt in sein Zimmer. Dort erklärten sie ihm den Tarif:
– Ich ziehe mich aus, und das ist 500 für jeden.
Der dreiste Ton der Mädchen überraschte sie selber. Sie duzten ihn, er blieb beim ‚Sie‘, bis sie ihm ihre [falschen] Vornamen nannten. Es wurde gefeilscht. Ihre Blicke fielen auf herumliegende Bijouterie. Er versprach ihnen je ein Bracelet in Silber.
Dann legte Justine ihre Lippe auf die des Iraners. Eva hob ihren Pullover und ihren Jupe. Sie trug keine Unterhose, seine Hand näherte sich ihrer Ritze, sie stiess sie zurück. Justine streichelte seinen Kopf. Dann warf er sich auf Evas Bauch, sie zog sich zurück.
Er wollte mehr von Eva und versprach ihr im Gegenzug mehr. Eva: „C’est non!“
– Wir dürften gar nicht hier sein, stell dir vor in unserem Alter, du riskierst viel, Grosspapa ! [S.292]
Das kam schon an Erpressung heran. Er überreichte ihnen die versprochene Belohnung.
Auf dem Heimweg warf Eva das Bracelet weg.
Prostitution zum Dritten
Es gab ein weiteres Ereignis im Zusammenhang mit Prostitution, doch dieses Mal wurde Eva in eine Falle gelockt. Am Anfang stand aber doch ihr klarer Wille, sich erneut anzubieten.
»Ich zündete eine Zigarette an der Ecke Boulevard de Clichy/Villa de Guelma an, als zwei Männer mit ärgerlicher Miene auf mich zukamen:«
– Das kostet 500. [Eva; offenbar irrtümlich]
– Was machst du da? Komm mit. [S.350]
Sie nahmen sie in ihre Mitte und führten sie in ein heruntergekommenes Gebäude, durch einen Raum, wo einige Männer herumsassen und viele ein und aus gingen, und zwangen sie dann in ein Zimmer, wo ein Typ mit Chefallüren sie fragte, ob sie sich prostituiere.
– Nein. Es ist das erste Mal.
– Du hast Lust, dich zu prostituieren ?
– Oui. [S. 351]
[…]
– Du willst dich prostituieren und für uns arbeiten ?
– Ben ouais.
– Wie alt bist du ?
– Fast 13.
Dann fragte er sie nach ihren Eltern, Bekannten usw. Eva antwortete, dass ausser ihrer etwas verrückten Mutter niemand da sei, dass sie jedoch vom Jugendamt verfolgt werde, ihre Sozialassistentin nenne sich Madame Chenu.

Das Stichwort „Jugendamt“ löste eine Explosion aus. Jemand stiess sie so heftig in den Rücken, dass sie zu Boden torkelte. Der Chef schrie sie an, ob sie sich über sie lustig machen wolle, und riet ihr dringend, sich nicht mehr in dieser Ecke zu zeigen.
Schliesslich verfolgte Eva noch die Sache mit dem Jedermann-Strip Tease. Sie suchte Marcelle in ihrem fahrenden Strip Lokal auf und fragte sie, wie es nun mit der Gelegenheit in Soissons aussehe. Marcelle riet ihr, zu verschwinden. [S.353]
Das Jugendamt greift ein.
Das mit dem Jugendamt könnte Eva in aller Naivität vorgebracht haben, es stimmte jedenfalls.
Schon Ende Juli 1977, noch vor Mykonos, hatte der blaue Brief vom Procureur de la République [ungefähr: Bezirksstaatsanwalt] in Irènes Küche gelegen. Eva ahnte damals, dass er ihr Leben zerstören würde – das Leben, das sie seit rund einem Jahr zu führen gewohnt war. Irène hatte ihr tonlos erklärt, wenn sie fortfahre, der Schule fern zu bleiben und nachts zu verschwinden, werde sie in einem centre d’acceuil [Jugendheim, Jugendanstalt] enden. [S.259]
Monate später rief das Lyceum an, um der Mutter mitzuteilen, dass Eva nicht mehr in der Schule erscheint, und drohte mit Rausschmiss. [S.296] Dann kündigte die Sozialassistentin ihren Besuch an, auf den 20. November. Irène instruierte Eva, wie sie sich dabei verhalten solle, was sie sagen soll, und dass man z.B. den Eindruck erwecken werde, Eva wohne bei ihr, und dergleichen mehr.
Als dann die Dame vom Sozialamt langsam durch Irènes chaotische Mini-Wohnung mit den schwarz angemalten Wänden ging, dem Totenkopf und der zergliederten Schaufensterpuppe begegnete, und in den Schubladen nur Netzstrümpfe, Strapsenhaltergürtel und einen Godemiche fand, stellte sie erst mal klar, dass das kein Umfeld für ein Kind war. Sie wollte wissen, ob Eva einen eigenen Schrank besitzt, und wo sie Platz für die Hausaufgaben hat. Eva zeigte sich nicht solidarisch mit ihrer Mutter, sondern nutzte die Gelegenheit, um auf ihre missliche Lage aufmerksam zu machen. Die Mutter habe ihr nie Platz in der Wohnung eingeräumt, sie schlafe bei ihrer Urgrossmutter. Ausserdem beklagte sie das Fehlen eines Jogging-Anzugs, weshalb sie nicht am Sportunterricht der Schule teilnehmen könne.
Madame Chenu machte klar, dass die Priorität bei Eva lag. Die Mutter musste ihr Platz einräumen und aufhören, ihre Tochter zu fotografieren, andernfalls würde Eva in eine Familie oder ein Heim platziert.
Kaum war sie verschwunden, versprach Irène ihrer Tochter ein gutes Leben, wenn sie weiterhin für sie posieren würde – es werde schon niemand dahinter kommen.
Eva musste zum Psychologen, der wissen wollte, ob sie sexuelle Beziehungen mit Männern gehabt habe, Kontakte mit Prostituierten pflege, und welches ihre Empfindungen bei den Foto-Aufnahmen waren. Sie hasste den Typen, gab nur ungefähre Antworten; etwa dass sie die Fotos nicht allzu sehr schätze, dass sie es seit dem 4. Altersjahr mache, und es schon o.k. sei. Im Buch nun schreibt sie unmissverständlich, dass sie diese Foto-Sitzungen gehasst habe, dass sie sich „dépossédée“ [nicht mehr sich selber gehörend[ gefühlt habe, dass es aber ihr Leiden wieder belebt hätte, wenn sie es einem Mann hätte erzählen müssen. [S.316]
Eva musste auch zum Gynäkologen. Die Sozialassistentin habe verlangt, dass er ihr Hymen untersuche, weil man denke, dass sie Beziehungen mit Männern gehabt habe, eröffnete er ihr.
– Wissen sie, ich will nicht, dass man mein Hymen anschaut, es ist mein Hymen, ich entscheide.
– Dann machen wir es nicht … ich bin einverstanden mit deiner Entscheidung. [S.353]
Später musste Eva zu Madame Chenu ins Büro. Die machte ihr klar, dass sie viel zu häufig die Schule schwänze, und wollte wissen, warum. Eva wusste keine Antwort.
Dann kam die Eröffnung in einem andern Punkt:
– Deine Mutter behauptet, dass du Drogen nimmst.
[Womit Irène selber ihre Erzählung widerlegte, dass das Jugendamt durch die New Yorker Polizei alarmiert worden sei, nachdem diese Eva beim Drogenhandel ertappt hatte. Letzteres dürfte stimmen, aber von dort her war keine Information an die franz. Jugendbehörde ergangen, sondern eben von Irène selber. Siehe Teil III]
Eva bestätigte, dass sie nicht bei ihrer Mutter schlafen wollte. Ihre Mutter mache ihr Angst, sie liebe Satan und wolle eine SM Dominatrice werden.
Zu Hause schrieb sie einen Brief an sich selber: Chère Eva, je t’aime beaucoup, jamais je voudrais te quitter.
Sie zerriss den Brief und warf ihn weg, bereute das dann aber. Dann zog sie sich um, kleidete sich ganz in Leder und spielte mit ihrem Opinel [Klappmesser] vor dem Spiegel:
«Tu me cherche des crosses, baby?»
[Willst du Krach mit mir, Baby?]
Eva sah in der Langsamkeit der Justiz eine Chance. Leider verpasste sie diese.
Sie liess sich von ihren Freunden zu einem Einbruch hinreissen. Er schlug fehl und wurde gemeldet. Madame Chenu zu Eva: „Das ist nicht gut, wenn der Richter das in meinem Bericht sieht.“ [S.402]
Die Gerichtsverhandlung kam, alles ging auf einmal sehr schnell. Die Anklage gegen die Mutter betraf ihre Fotografien, und dass sie Eva keine gesunde Lebensweise [l’hygiene de vie] geben konnte, auch die fehlende Schulung. Ihr wurden die Elternrechte genommen. Gegen Eva sprachen vor allem ihre Raubdelikte und die Inhaftierungen wegen Drogen. Der Richter schätzte, dass die Situation sich nur verschlechtern konnte und sah die Platzierung in einer Jugendanstalt [von Eva im Buch als Gefängnis bezeichnet] vor.
Madame Chenu setzte all ihren guten, mütterlichen Willen und ihr Gewusst-wie ein, und plädierte für eine letzte Chance. Sie schlug sich mit Inbrunst. Eva, die sie bis dahin eher als komische Figur empfunden hatte, weinte. Sie versprach dem Richter, sich gut zu halten, bei Maman zu schlafen, die Schule [wieder eine andere] zu besuchen und keine Dummheiten mehr zu machen. Die Mutter versprach, ihren Lebensstil zu ändern und Eva nicht mehr zu fotografieren. [Gemäss Buch soll sie dann über eine Advokatin das Nötige veranlasst haben, um den Unterhalt der Fotos sicherzustellen, falls sie vom Gericht beschlagnahmt werden sollten]
Eva bekam vom Richter eine letzte Chance. [S. 441]
Am Abend das nächsten Tages hat sie sich gekleidet wie eine Königin, um diese Chance zu feiern, hat ihren schönsten Rock angezogen, um tanzen zu gehen, schminkte sich. Sie fühlte Lust, sich in den Lichtern des nächtlichen Boulevard zu verlieren…
Mit diesen Worten endet dann das Buch:
»Charles kam langsam heran. Er rauchte eine Zigarette, aus der Nähe erschien mir sein Gesicht riesig, er wirkte so jugendlich, und je länger ich ihn ansah, desto größer wurde er, oder ich wurde kleiner, ich weiß es nicht mehr. Er zog mich in seine Arme und sagte zu mir:
– Du bist ein Engel.
Ich verstand, dass er es war.
– Du bist mein Engel, komm, Eva, wir tanzen.
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Charles Serruya sollte Evas Lebensbegleiter für die nächsten Jahre werden, auch in der Zeit, als sie in Montreuil draussen in der Jugendanstalt war. Es war jetzt Spätsommer 1978, Eva war gerade dreizehn geworden. Charles Serruya war nach meinen Nachforschungen zu jenem Zeitpunkt 29. Sie zählt ihn noch heute zu ihren Freunden, und dankt ihm auf der letzten Seite des Buches, neben Christian Louboutin, der sie nicht mehr über Nacht beherbergen wollte, weil er das Jugendamt fürchtete, welches hinter Eva lauerte. Ferner dankt sie Justine, mit der sie ihren ersten Prostitutionsversuch unternommen hatte, und noch einigen Kumpels mehr aus der Zeit der Palace-Bande.
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Evas Erzählung ihrer Kindheit ist…
…KEINE OPFERGESCHICHTE.
Auf den letzten Seiten stellt sie fest, dass das Mädchen in ihr „trotz aller Schäden“ tatsächlich existiert und dass die Frau, die da heranwächst, „beschädigt, zerbrechlich, aber nicht zerstört ist.“
Und dann erklärt sie ihren Anspruch, ihr Programm:
»Ich verdiene Lust, Liebe, Teilen, ich will die Beute eines ganz lebendigen Mannes sein und in seinen Armen in einer Bewegung verschmelzen, die so intim ist wie der Schlaf«
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HIER KANN MAN IN EINEM TV-INTERVIEW zu ihrem neuesten Buch sehen, welch charmante Frau Eva I. (noch) heute ist:
QUELLEN:
*) Eva Ionesco, Les enfants de la nuit. Paris 2022 [Grasset]
iLa Stampa, 25.Mai 1977, S.26. LASCIATE IN PACE LA DODICENNE. [Zum Zeitpunkt dieses Presseanlasses war Eva genau genommen noch nicht zwölf.]
ii Che noia il sex in maladolescienza.
iii La Stampa, 25.Mai 1977, S.26. LASCIATE IN PACE LA DODICENNE.
iv La Stampa, 16.Juni 1977, S.25 Denuncia contro Maladolescenza
v Quand le Tout-Paris des années 1970 dansait à « La Main bleue ». Vanity Fair, 22.Juni 2016. Die Redaktion schreibt im Vorwort dazu: „À l’origine discothèque de banlieue pour sapeurs et dandys africains, La Main bleue est devenue à la fin des années 1970 le rendez-vous ultime des VIP : de Thierry Ardisson à Karl Lagerfeld en passant par Hubert de Givenchy, Fassbinder ou Paloma Picasso. ALICE AUGUSTIN nous replonge dans l’atmosphère sulfureuse de ce club aussi éphémère que légendaire.“ Der Name Eva Ionesco erscheint in diesem Bericht wohl gute fünf Mal. https://www.vanityfair.fr/culture/people/articles/la-main-bleue-discotheque-legendaire-des-annees-1970/43430 Das bewusste Fest soll gemäss Vanity Fair im Mai 1978 statt gefunden haben. Da war Eva knapp 13.
vi Simon Liberati, Eva. Paris 2015 [Stock].

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